Geringe Wahlbeteiligung macht Sorgen Steht die Wahlurne bald im Supermarkt?

Berlin · Die geringe Wahlbeteiligung in Thüringen und Brandenburg hat beschämende Ausmaße erreicht. Jeder Zweite empfand Demokratie offenbar als langweilig und blieb zuhause. In Berlin werden bereits Modelle für eine Änderung des Wahlrechts diskutiert. Aktuell im Gespräch: die Abstimmung im Supermarkt.

 In diesem Wahllokal in Brandenburg herrscht am Sonntag gähnende Leere.

In diesem Wahllokal in Brandenburg herrscht am Sonntag gähnende Leere.

Foto: dpa, rhi pzi

Die Wahlbeteiligung in beiden Ländern war am Sonntag erschreckend schwach: Sie lag bei enttäuschenden 52,7 Prozent in Thüringen und sogar nur bei 47,9 Prozent in Brandenburg. Schon zwei Wochen zuvor in Sachsen war die Quote nicht wirklich besser: Knapp 49 Prozent der Wähler blieben dem Wahllokal fern.

Selbst das Argument, dass die Wahlbeteiligung im Osten schon traditionell gering ausfällt, kann nach diesem Wochenende keine Kraft entfalten. In Thüringen sank die Wahlbeteiligung zwar nur leicht auf 52,7 Prozent. Aber angesichts der Tatsache, dass es dort eine "Richtungswahl" zwischen Schwarz-Rot und einer Rot-Rot-Grün-Koalition anstand, galt dies als wenig.

Ein bitterer Beigeschmack

Dass die Wahlbeteiligung in Brandenburg sogar dramatisch von 67 auf 47,9 Prozent absackte, ist auf den ersten Blick irreführend. Denn die Landtagswahl 2009 fiel mit der Bundestagswahl zusammen, die traditionell immer mehr Wähler an die Urnen lockt.

Aber gerade die Wahlbeteiligung in Brandenburg hat dennoch einen eigenen bitteren Beigeschmack: Sie widerlegt alle, die das Problem mit einer bloßen Absenkung des Wahlalters lösen wollten: Erstmals durften in einem Flächenland auch die Wähler ab 16 Jahren mitwählen. Geändert hat dies nichts.

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Insbesondere bei der SPD haben die Zahlen regelrecht Schockwellen ausgelöst. Sie hatte sich in Brandenburg vehement dafür eingesetzt, das Wahlalter zu senken. Und jetzt das. Erst einmal in der Geschichte der Bundesrepublik blieben bei einer Landtagswahl weniger Menschen zuhause : 2006 gingen in Sachsen-Anhalt nur 44,4 Prozent der Berechtigten zur Wahl.

Angesichts der traurigen Zahlen werden bereits Ideen diskutiert, wie sich die Demokratie in Deutschland wieder beleben lässt. Noch am Wahlabend schlug etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi vor, über veränderte Wahlregeln nachzudenken.

Fahimi verwies dazu auf Erfahrungswerte aus Schweden, wo eine Wahl nicht nur auf einen einzigen Tag beschränkt ist. Dort nämlich lässt sich im Laufe einer ganzen Wahlwoche abstimmen. Zudem sind Wahlurnen auch im Supermarkt oder bei der Post aufgestellt.

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Stimmabgabe im Supermarkt

Ziel der SPD-Initiative: Das Wählen für die Bürger alltagsfreundlicher zu machen, so dass man "nebenbei beim Einkaufen" seine Stimme abgeben könnte. "Wir wollen keine Wählerbeschimpfung, sondern wir wollen Hürden abbauen", erläuterte Fahimi bereits nach der Sachsen-Wahl ihre Vorschläge. Die anderen Parteien fordert sie auf, sich der Initiative anzuschließen.

Basisrecht der Demokratie im Vorübergehen beim Shoppen also? Der Berliner Tagesspiegel trieb diese Variante am Montag nach der Wahl noch auf die Spitze und regte an, den Wähler mit kleinen Belohnungen ins Wahllokal zu locken, etwa Gutscheinen für Kultur und Bildung. "Wahlgabe" könne so etwas dann heißen. Wer den Zynismus nicht scheut, könnte in dem Zusammenhang auch an Freibier denken.

Die fast ein wenig verzweifelte Suche nach Anreizen hat augenscheinlich auch damit zu tun, dass Vorschläge für strengere Veränderungen des Wahlrechts in Deutschland bisher ein zuverlässig negatives Echo ausgelöst haben. Vor einigen Jahren sorgte einmal der SPD-Hinterbänkler Jörn Thießen für Aufregung, als er für die Einführung der Wahlpflicht plädierte.

50 Euro Strafe für Nichtwähler

Als Pate für das Modell sollte Belgien dienen, wo das Wählengehen nicht nur gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern Demokratie-Verweigerern auch eine Geldstrafe aufgebrummt wird. Beim ersten Mal 25 bis 50 Euro, im Wiederholungsfall kann es auch mehr werden. Bei der Europawahl im Mai 2014 lag die Wahlbeteiligung bei 90 Prozent.

Belgien ist dabei alles andere als ein Einzelfall. So zählt die Wahlpflicht auch in Luxemburg, Griechenland, Zypern, der Türkei oder auch Italien zur politischen Normalität. Auch dort gehören Strafen dazu. In der Türkei und Zypern drohen empfindliche Geldbußen von umgerechnet bis zu 500 Dollar. Immer noch besser als in Ägypten, wo rein rechtlich sogar eine Gefängnisstrafe möglich ist.

Wählen als staatsbürgerliche Pflicht

Befürworter argumentieren, dass Wählen in Demokratien eine ähnlich staatsbürgerliche Pflicht sei, wie etwa das Steuerzahlen oder der Wehrdienst. Niemandem schade es, sich einmal mit politischen Zukunftsfragen auseinanderzusetzen, der Demokratie schade das Nicht-Wählen hingegen sehr.

Zudem soll eine Wahlpflicht verhindern, dass eine Minderheit der Bevölkerung über die Geschicke des ganzen Landes bestimmt. Zudem würden bei geringerer Wahlbeteiligung Proteststimmen für radikale Strömungen übermäßig repräsentiert werden.

In Deutschland finden diese Argumente bislang keine Unterstützung. Im Begriff der Wahlpflicht schwingt zu viel Zwang mit, was sich mit einer freiheitlichen Demokratie nicht wirklich gut verträgt. Die Diskussion schlägt an diesem Punkt zurück auf die Parteien: Überlässt man den Bundesbürgern die Entscheidung zur Wahl zu gehen oder eben nicht, stehen sie in der Verantwortung, ihre Relevanz deutlich zu machen.

Vorbilder gibt es genug: In Dänemark etwa sind die Menschen stolz darauf, wählen zu gehen. Die Wahlbeteiligung liegt zuverlässig bei rund 90 Prozent.

(pst)
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