Karlsruhe lehnt NPD-Verbot ab Verbotsverfahren ist ein Eigentor für die Demokratie

Meinung | Berlin · Die Bundesländer ließen sich von Warnungen der Bundesregierung und des Bundestages nicht beirren und zogen mit einem NPD-Verbotsantrag nach Karlsruhe. Verloren haben nun nicht nur sie.

 Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle setzt nach der Urteilsbegründung seine Kopfbedeckung ab.

Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle setzt nach der Urteilsbegründung seine Kopfbedeckung ab.

Foto: dpa, kno

Als sie die ersten Sätze der Karlsruher Entscheidung von den verfassungsfeindlichen Einstellungen der NPD hörten, von ihrem Willen, die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen zu wollen, witterten Online-Dienste die Sensation und drückten auf den Knopf "Karlsruhe verbietet NPD". Hätten Sie nur ein paar Sekunden länger zugehört, wäre es nicht zu den Falschmeldungen gekommen. Es war im Zeitraffereffekt genau dasselbe, was 2012/2013 die Bundesländer in Zeitlupe vollzogen: Einmal gründlicher nachgedacht und zugehört, und es hätte das Verfahren nicht geben müssen.

Denn schon damals war klar, dass die NPD in ihrem widerlichen Wirken auf dem Weg in die nationale Bedeutungslosigkeit war. Sicherlich, es gab und gibt regionale Hochburgen, in denen sie es Demokraten nicht nur schwer macht, sondern in denen sie das friedliche Zusammenleben der Menschen nach den Grundwerten des Grundgesetzes gefährdet. Aber das hätten die örtlich Verantwortlichen besser mit einem rechtzeitigen politischen und polizeilichen Vorgehen in den Griff kriegen müssen, statt darauf zu warten, dass sich irgendwann mal das ferne Karlsruhe darum kümmert.

Beim letzten Parteienverbot war die Demokratie noch nicht gefestigt

Sage keiner, im Lichte der bisherigen Parteiverbote hätte man 2013 von einem Verbot der NPD ausgehen können. Die beiden vorangegangenen Verbote, die sich gegen eine linksextremistische und eine rechtsextremistische Partei richteten, sprach das Verfassungsgericht in einer völlig anderen Situation der Bundesrepublik aus. Im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende konnte die junge Demokratie noch als keinesfalls gefestigt angesehen werden. Was damals noch relativ frisch in Erinnerung war, gilt prinzipiell auch heute noch: Dass eine verfassungsfeindliche Partei binnen weniger Monate zu einem bestimmenden Faktor in der Politik werden kann, wie es Anfang der 30er Jahre die NSDAP vormachte. Doch dieser Staat hat in den 60 Jahren seitdem seine Stabilität bewiesen. Und er verfügt über Institutionen und Mittel, die Verfassung zu verteidigen.

Zudem befindet sich Deutschland inzwischen in einer neuen Union von Staaten, für die andere Regeln des Parteienverbotes gelten: Der Staat muss akut in seiner Existenz gefährdet sein. Und so hätte die NPD allerbeste Chancen gehabt, nicht nur gegen den Verbotsantrag des Bundesrates zu bestehen, sondern selbst gegen ein erfolgreiches NPD-Verbot in Karlsruhe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hätte es wieder kassiert. Das alles wussten die Bundesländer — und schossen mit Anlauf dennoch das Eigentor für die Demokratie.

Denn die NPD feiert die Entscheidung nicht nur in typischer Wortwahl als "Sieg!!!", sie kann auch darauf setzen, dass die Wahrnehmung des Urteils bei ihrer Klientel als Freibrief missverstanden wird. Da kann in der 300 Seiten langen Urteilsbegründung noch so häufig die Klassifikation der NPD als Missachtung der Menschenwürde oder Unvereinbarkeit mit der Demokratie auftauchen, übrig bleibt bei vielen die Botschaft: Was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Somit hat das Verfahren Stoff für grenzgängerischen Rechtsaußenpopulismus geliefert. Mögen die Befürworter auch noch so stolz darauf sein, nun konkretere Handhaben für Parteienverbote und exaktere Charakterisierungen von einer Verfassungsfeindlichkeit bei der NPD zu haben — das hätten sie auch per Gutachten schneller und vor allem unschädlich haben können.

Der Verfassungsschutz wurde zur Blindheit auf dem rechten Auge gezwungen

Stattdessen haben sie die V-Leute aus den Führungsetagen der NPD abgezogen, um ein fragwürdiges Verbotsverfahren nicht erneut schon in der Startphase vor die Wand zu fahren, wie 2003. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der sich der Rechtsextremismus auf den Weg in die politische Mitte machte, in der längst nicht alle Lehren aus den Pannen im Umgang mit dem zu lange unentdeckten Rechtsterrorismus der NSU gezogen waren.

Sie haben somit zum denkbar schlechtesten Moment den Verfassungsschutz auf dem rechten Auge zur Teil-Erblindung gezwungen. Nun müssen die Demokraten versuchen, das Kind aus dem Brunnen zu ziehen und dafür sorgen, dass die Gefahren der NPD nicht als reingewaschen gelten können.

(may-)
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