Experten haben Bedenken Gesetz gegen Armutszuwanderung fällt durch

Berlin · Der Bund will den Kampf gegen Armutsflucht aus EU-Staaten verschärfen. Experten haben erhebliche Bedenken gegen die Pläne.

 Roma leben in ihren Herkunftsländern - unser Foto zeigt Bulgarien - häufig in bitterer Armut.

Roma leben in ihren Herkunftsländern - unser Foto zeigt Bulgarien - häufig in bitterer Armut.

Foto: dpa

Auf nahezu einhellige Ablehnung der Experten wird der Gesetzentwurf gegen die sogenannte Armutszuwanderung bei einer Anhörung am Montag im Bundestag stoßen. Das geht nach Informationen unserer Zeitung aus den Vorab-Einschätzungen von Wissenschaftlern und Fachverbänden hervor. Die Opposition liest daraus als einzig logische Konsequenz heraus, dass die Koalition den "populistischen Vorschlag endlich einstampfen" müsse (so drückt es Grünen-Innenexperte Volker Beck aus), wenn sie es vermeiden wolle, sich eine "weitere Ohrfeige vom Europäischen Gerichtshof" einzufangen.

Nachdem die CSU zur Jahreswende mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" auf steigende Zuzüge aus den osteuropäischen EU-Ländern Rumänien und Bulgarien reagiert hatte, hatte sich die schwarz-rote Koalition darauf verständigt, Probleme und Lösungen in einem Staatssekretärsausschuss zu ergründen. Das Ergebnis war der jetzt im Bundestag zur Beratung anstehende Gesetzentwurf, demzufolge das Freizügigkeitsrecht für alle EU-Bürger nach sechs Monaten eingeschränkt wird, wenn sich die Gäste nicht um Arbeit bemühen. Sind sie wegen Täuschung einmal ausgewiesen worden, sollen sie auch nicht wieder einreisen dürfen.

Aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) hat der Ausschuss "keine validen Zahlen für den Missbrauch des Freizügigkeitsrechtes darlegen" können. Der DGB verweist stattdessen auf Untersuchungen der Arbeitsagentur, wonach die Beschäftigungsquoten von neu zuziehenden EU-Bürgern ("auch von Rumänen und Bulgaren") höher und die Abhängigkeit von Transferleistungen sowie der Kindergeldbezug geringer seien als bei der ansässigen ausländischen Bevölkerung insgesamt.

Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Zahl von Verdachtsfällen wegen Sozialbetrugs durch Rumänen und Bulgaren "im zweistelligen Bereich" liege. Darauf mit Gesetzesverschärfungen zu reagieren, sei "vollkommen unverhältnismäßig".

Blick in das Flüchtlingsheim in Essen
7 Bilder

Blick in das Flüchtlingsheim in Essen

7 Bilder

Das findet auch der DGB, der deswegen den Entwurf als "insgesamt unausgereift" einstuft. Der Mainzer Verwaltungsrechtler Klaus Dienelt beklagt einen "europarechtlich nicht zulässigen Automatismus". Eingriffe in die Freizügigkeit der EU-Bürger dürften jedoch nur nach "umfassender Prüfung des Einzelfalles" erfolgen.

"Kaum praktikable Restriktionen" kritisiert der Paritätische Gesamtverband. Der von der Regierung gewählte Ansatz werde nicht funktionieren. Zusammen mit anderen Rechtsvorgaben steige die Gefahr, dass Unionsbürger aus gesellschaftlichen Regelsystemen ausgeschlossen würden. "Die Kosten der Kommunen etwa für die gesundheitliche Notversorgung beziehungsweise die soziale Mindestsicherung werden dadurch eher steigen als sinken", sagt der Fachverband voraus.

Wie sehen das die Städte und Gemeinden selbst? Der Deutsche Landkreistag begrüßt das Vorhaben der Koalition zwar im Grundsatz als "Schritt in die richtige Richtung", hat aber stärkste Bedenken bei den möglichen Zusatzbelastungen für die Verwaltungen. Im Zusammenhang mit der Wiedereinreisesperre kritisiert der Verband einen "doppelten Prüfungs- und Begründungsaufwand". Die von Schwarz-Rot vorgesehene einmalige Unterstützung der Kommunen mit einem Gesamtbetrag von 25 Millionen Euro sei angesichts der Herausforderungen vor Ort weder ausreichend noch seien die Probleme mit einem einmaligen Betrag gelöst. Zudem vermissen die Landkreise die von Ländern und Kommunen geforderte Clearing-Stelle, die bei kniffligen Fragen zum grenzüberschreitenden Versicherungsschutz kontaktiert werden könne.

Eine Vielzahl von Bedenken bringt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vor. Das in dem Gesetzentwurf zugleich vorgesehene verschärfte Vorgehen gegen Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit bringe nur dann etwas, wenn genug Personal für Kontrollen zur Verfügung stehe. Außerdem müsse die Beratung gegen Arbeitsausbeutung und Menschenhandel ausgebaut werden.

Der Landesverfassungsrichter Winfried Kluth (Halle) begrüßt zwar, dass die Koalition klarstellen wolle, was auf EU-Ebene "nicht geglückt" sei und "erhebliche Rechtsunklarheiten" aufweise. Das "sehr viel gewichtigere Problem", wo für nichterwerbstätige Unionsbürger die Grenzen des Aufenthaltsrechtes liegen, klammere der Gesetzentwurf jedoch aus.

Einzig der von der Koalition in diesem Zusammenhang geplante verschärfte Kampf gegen Scheinehen trifft auf Beifall der Experten. Damit werde nicht nur eine Sicherheitslücke geschlossen, sondern auch ein Einschreiten der Polizei ermöglicht, unterstreicht Dienelt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort