Die SPD nach dem Parteitag Andrea Nahles ist die Reserve-Parteichefin

Berlin · Ihre kämpferische Rede beim Sonderparteitag der SPD machte es deutlich: Andrea Nahles hat neben Martin Schulz aktuell die wichtigste Rolle innerhalb der Partei. Die 47-Jährige gilt als Favoritin auf den Parteivorsitz, sollte dieser Posten wieder vakant werden.

 Andrea Nahles bei ihrer Ansprache auf dem Sonderparteitag der SPD.

Andrea Nahles bei ihrer Ansprache auf dem Sonderparteitag der SPD.

Foto: afp

Nach den Beratungen der SPD-Bundestagsabgeordneten zum stürmischen Sonderparteitag verlässt Fraktionschefin Andrea Nahles am Montag unauffällig den Tagungssaal im Bundestag. Umringt von Parlamentskollegen weicht sie den Mikrofonen aus, die Kommunikation übernimmt SPD-Chef Martin Schulz. Doch Nahles ist die derzeit wichtigste Figur in der SPD neben Schulz, mindestens. Die 47-Jährige gilt als Anwärterin auf den Parteivorsitz, sollte der Posten wieder vakant werden.

Schulz hatte zwar im März vergangenen Jahres die Führung der SPD übernommen und wurde Anfang Dezember für eine zweijährige Amtszeit bestätigt. Doch der 62-jährige frühere Europapolitiker ist angezählt - nicht nur wegen des historisch schlechten Bundestagswahlergebnisses, sondern vor allem wegen des anschließenden Schlingerkurses in der Frage, die Partei in die Opposition oder doch in eine neue große Koalition zu führen. Die Mehrheit auf dem SPD-Parteitag für Koalitionsverhandlungen fiel nun denkbar knapp aus.

In Bonn konnte Schulz den Parteitag nicht mitreißen, als er sachlich die Vorteile von Koalitionsverhandlungen abarbeitete. Der Applaus fiel spärlich aus. Eine Delegierte kanzelte den Parteichef später ab: "Die 'Groko' wird lähmen. Das hat man schon am Beifall auf Deine Rede gespürt." Nahles dagegen wurde nach ihrem leidenschaftlichen Auftritt umjubelt, obwohl sie ebenfalls für "Groko"-Verhandlungen warb.

Die Rheinland-Pfälzerin spielte auch während der Sondierungsgespräche mit CDU und CSU eine herausgehobene Rolle. Gemeinsam mit Schulz saß sie in der entscheidenden Sechserrunde der Partei- und Fraktionschefs, kümmerte sich außerdem federführend um Arbeits- und Sozialthemen. Lob bekam Nahles dabei auch aus der Union: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt attestierte ihr, von den Sozialdemokraten in den Sondierungen die "beste Figur" gemacht zu haben.

Nahles zählt zum linken Flügel der SPD und begann ihre Karriere bei den Jusos, denen sie von 1995 bis 1999 als Bundesvorsitzende vorstand. In diesem Amt erwarb sie sich schnell den Ruf einer geschickten Strippenzieherin: Nahles war maßgeblich beteiligt am Sturz des SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping, der auf dem Mannheimer Parteitag 1995 von Oskar Lafontaine abgelöst wurde.

Nach ihrer Wahl in den Bundestag 1998 setzte sich die Frau aus der Eifel in der rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) für ein linkes Profil ein. Nachdem sie 2002 den Einzug ins Parlament verpasste, kehrte die studierte Literaturwissenschaftlerin 2005 als Abgeordnete zurück und beförderte erneut den Sturz eines mächtigen Mannes.

Damals wollte SPD-Chef Franz Müntefering seinen Vertrauten Kajo Wasserhövel als Generalsekretär installieren. Nahles wagte sich als Gegenkandidatin in eine Kampfabstimmung und setzte sich durch, Müntefering zog sich daraufhin vom Parteivorsitz zurück. Angesichts von Kritik und Schmähungen als "Münte-Meuchlerin" verzichtete Nahles auf den Posten und schaltete einen Gang zurück - um nach der SPD-Wahlniederlage 2009 schließlich doch Generalsekretärin an der Seite des neuen Parteichefs Sigmar Gabriel zu werden.

Zwar verlief die Bundestagswahl 2013 für die Sozialdemokraten erneut enttäuschend, doch das wurde eher dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück als Nahles angelastet. In der großen Koalition übernahm sie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Nahles fuhr als Ministerin eine Reihe von Erfolgen für die SPD ein, unter anderem trotzte sie der Union den gesetzlichen Mindestlohn ab.

Nach der Wahlschlappe im vergangenen September, als die Sozialdemokraten noch voll auf Oppositionskurs waren, rückte die 47-Jährige an die Fraktionsspitze. Bei ihrer Wahl erhielt sie eine Zustimmung von gut 90 Prozent. Nahles dürfte dieses Amt im Fall einer "Groko"-Neuauflage behalten und auf einen Ministerposten verzichten. So könnte sie Distanz zu dem in der SPD unbeliebten Regierungsbündnis mit der Union wahren - und sich für noch höhere Ämter in Stellung bringen.

(se)
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