Keine Groko-Einigung bis zum Morgen Plötzlich ist auch ein Scheitern wieder möglich

Die Koalitionsverhandlungen von Union und SPD gestalten sich noch schwieriger als erwartet. Auch nach über 20 Stunden konnten die Parteien noch keinen Durchbruch erzielen. Es hakt vor allem an der Frage, wie die künftige große Koalition befristete Arbeitsverträge eindämmen kann.

 Eine lange Nacht. Martin Schulz, Horst Seehofer und Angela Merkel in Berlin.

Eine lange Nacht. Martin Schulz, Horst Seehofer und Angela Merkel in Berlin.

Foto: afp

Es ist fast 7 Uhr - und im Konrad-Adenauer-Haus, der Berliner Zentrale der CDU, ringen Union und SPD auch nach über 20 Stunden Verhandlungen weiter um einen Koalitionsvertrag. Plötzlich kommt nun doch wieder die Frage auf, ob nach dem Jamaika-Aus auch dieser zweite Versuch Angela Merkels, eine neue Regierung zu bilden, wieder scheitert. Die bisherigen Zeitpläne für die weiteren Abläufe an diesem Mittwoch jedenfalls gelten vorerst nicht weiter, hören Journalisten vor der CDU-Zentrale.

Eigentlich sollte die große Verhandlungsrunde mit 91 Vertretern der Parteien am Vormittag zusammenkommen, um über das Ergebnis abzustimmen - dann wieder in der SPD-Zentrale, dem Willy-Brandt-Haus. Auch die Spitzengremien der Parteien sollten am Vormittag zusammentreten und danach die Fraktionen, um über das Verhandlungsergebnis informiert zu werden. Doch ob und wann es dazu kommen wird, ist plötzlich wieder offen.

Harte Verhandlungen über Eindämmung befristeter Jobs

Offenbar gestalten sich die Gespräche in diesen Morgenstunden doch viel schwieriger, als die Koalitionsstrategen erwartet hatten. "Etwas scheint sich gravierend verhakt zu haben", berichtet einer der Beobachter vor der CDU-Zentrale. Die Sozialdemokraten hatten Nachbesserungen vor allem bei den Themen befristete Jobs und Verbesserungen für gesetzlich Krankenversicherte verlangt.

Aber auch über das Arbeitszeitgesetz und die künftige Rüstungsexport-Kontrolle waren sich die Koalitionäre in spe weiterhin nicht einig. Auch die Union hatte am Dienstag Themen wieder aufgemacht, über die eigentlich schon Einigkeit bestanden hatte: Sie will vor allem noch höhere Verteidigungs- und Entwicklungshilfe-Ausgaben durchsetzen.

Besonders hart werde über die Eindämmung der befristeten Jobs verhandelt, ist vor der CDU-Zentrale zu hören. Hier wollte die SPD erreichen, dass die relativ hohe Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse für jüngere Menschen sinkt. Deshalb hatte sie gefordert, die so genannte sachgrundlose Befristung abzuschaffen. Dabei müssen Arbeitgeber keinen Grund für eine Befristung angeben. Solche Befristungen sind nur innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren möglich.

Für die Arbeitgeber ist dies ein willkommenes Instrument für den kurzfristigen, flexiblen Einsatz von Arbeitskräften. Die Union lehnte die Abschaffung deshalb ab. Da die frühere Arbeitsministerin und heutige SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles mit am Tisch sitzt, war damit zu rechnen, dass die SPD an dieser Stelle kaum nachgeben dürfte.

Die Frage nach der Ressortverteilung

Auch im Streit um die Angleichung der Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten sind die Verhandlungen offenbar festgefahren. Die SPD soll keinen Einstieg in eine Bürgerversicherung bekommen, und wäre er auch noch so klein. Die Union weiß die privaten und gesetzlichen Krankenkassen hinter sich und ist auch ohne sie dagegen.

Außerdem wird darum gerungen, ob in den Koalitionsvertrag, dessen Entwurf 167 Seiten hat, schon jetzt aufgenommen wird, welche Partei welches Ministerium bekommt. Das ist wichtig, weil die mehr als 460.000 SPD-Mitglieder ja noch abstimmen müssen, ob Deutschland wieder von einer großen Koalition regiert werden soll. Und dafür sollen sie nach Ansicht von Parteichef Martin Schulz wissen, welche Ressorts an die Sozialdemokraten gehen.

CDU und CSU haben aber keine Lust darauf, in den drei Wochen des Mitgliederentscheids Personaldebatten zu führen, auch wenn nur die Ministerien und noch gar keine Personen genannt werden würden.

Schon jetzt geht es bei der SPD hoch her, ob Schulz ins Kabinett will, obwohl er doch gesagt hatte, unter Merkel werde er nie Minister. Genau das könnte aber seine politische Zukunft stabilisieren. Angeschlagen wie er wegen des desaströsen Bundestagswahlergebnisses, des Gerangels um die Koalitionsverhandlungen und der Anti-Groko-Kampagne der Jusos ist. Als Außenminister könnte der ehemalige Europapolitiker vielleicht am leichtesten wieder glänzen.

"Der Fortschritt ist eine Schnecke"

Eigentlich wollten Merkel, Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer bereits am vergangenen Sonntag mit den Verhandlungen fertig sein. Vorsichtshalber wurden zwei Puffertage eingebaut. Für Merkel wird es an diesem Mittwoch zeitlich eng, sollten sich die Verhandlungen noch weiter in die Länge ziehen. Am Mittag soll sie Italiens Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni im Kanzleramt empfangen.

Gentiloni steht eine Neuwahl kurz bevor. Im März werden die Wähler wieder vorzeitig an die Urnen gerufen, auch in Italien droht ein Rechtsruck. Von Neuwahlen ist Deutschland noch weit entfernt.

Das droht wohl erst, wenn die SPD-Basis wirklich Nein zur Union sagt, wie FDP-Chef Christian Lindner am 19. November zu Jamaika. Noch nie hat in Deutschland eine Regierungsbildung so lange gedauert wie jetzt. Selbst im leidgeprüften Italien wird deshalb gespottet, so schlimm wie in Deutschland sei es im eigenen Land noch nicht.

"Der Fortschritt ist eine Schnecke", sagt SPD-Vize Ralf Stegner nach vielen Stunden Verhandlungen am frühen Mittwochmorgen. Und Familienministerin Katarina Barley will "gar nichts" mehr sagen. Geradezu hoffnungsfroh wirkt dagegen der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Er sagt: "Wir werden fertig."

SPD-Mann Michael Groschek findet jedenfalls die Frage von Journalisten nicht so originell, als er am sehr späten Dienstagabend in die CDU-Zentrale eilt. Warum jetzt alle SPD-Koalitionsunterhändler hinein- und die CDU-Leute hinausströmen, wollen die Journalisten wissen, die nach vielen langen Tagen auf den Durchbruch bei den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen warten. Groschek sagt: "Wir treffen uns zu Bier und Skat." Der Witz war gut. Denn irgendwie kann man schon den Eindruck bekommen, dass da ordentlich gezockt wird.

(jd, kd)
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