Streit um Flüchtlingspolitik Große Koalition — ein Fall für die Intensivstation

Berlin · CDU, CSU und SPD liegen bei der Flüchtlingspolitik in ihren Schützengräben, der Streit bleibt auch nach dem Spitzentreffen am Sonntag verfahren. Und so drohen andere Vorhaben der Koalition weiter blockiert zu werden. Eine Analyse.

 Die Spitzen der Koalition: Horst Seehofer, Sigmar Gabriel und Angela Merkel (Archivfoto).

Die Spitzen der Koalition: Horst Seehofer, Sigmar Gabriel und Angela Merkel (Archivfoto).

Foto: dpa, wk tmk htf

Die hitzigen Sommergewitter in der großen Koalition wollen kein Ende nehmen. Aufgeladen ist die Atmosphäre, immer wieder zuckt es am Himmel über Berlin, die dunkelsten Wolken kommen schon seit Monaten aus dem Süden. Von dort setzt CSU-Chef Horst Seehofer unermüdlich in einem bizarren Machtpoker zu Attacken gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin an. Angela Merkel (CDU) zieht sich in die Defensive zurück, hält aber an ihrer Grundüberzeugung ("Wir schaffen das") fest. Und die SPD als Bündnispartnerin der streitenden Schwestern steht — angesichts interner Debatten um Freihandelsabkommen selbst zutiefst verunsichert — daneben, hält mal zu der einen, mal zu der anderen. In dieser Gemengelage erweist sich die schwarz-rote Koalition als kaum handlungsfähig, sie ist ein Jahr vor der Bundestagswahl ein Fall für die Intensivstation geworden.

Und daran änderte auch ein zweistündiges Treffen der Parteichefs am Sonntag im Kanzleramt kaum etwas. CDU-Chefin Merkel und Seehofer trafen sich am Nachmittag für ein Vorgespräch, Sigmar Gabriel stieß als SPD-Vorsitzender und Vizekanzler etwa zwei Stunden später dazu. Doch erwartungsgemäß kam es zu keinen nennenswerten Durchbrüchen oder Beschlüssen. Das Thema Flüchtlingspolitik wurde vollständig ausgeklammert, bei anderen Themen will man sich im Herbst verständigen.

Der Begriff Obergrenze spaltet die Schwesterparteien zutiefst

Aber wie sollte eine schnelle Einigung auch möglich sein, wenn doch die Fronten in der Asylpolitik zwischen CDU und CSU vor allem rhetorisch wie in Beton gegossen scheinen? Seehofer verlangt von der Kanzlerin, als Bedingung für den Waffenstillstand, zweierlei: Sie soll zum einen glaubhaft machen, dass sich die chaotische Zuwanderung des vergangenen Jahres nicht noch einmal wiederholen wird. Deswegen hält er am Instrument einer Obergrenze für die Zuwanderung nach Deutschland fest.

200.000 Migranten dürften demnach einreisen, danach soll Schluss sein. Der CSU-Vorstand hat nun sein entsprechendes Papier auch formal verabschiedet. Zweitens verlangt Seehofer von Merkel, dass künftig Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden können, um sie an ihrer illegalen Einwanderung in die Bundesrepublik zu hindern. Das solle so lange möglich sein, wie die EU-Außengrenze nicht hinreichend geschützt sei. Geht Merkel auf beide Forderungen ein, will ihr Seehofer die Hand reichen.

Doch das scheint ausgeschlossen. Zwar liegen die Stoßrichtungen der beiden Unionsparteien beim Thema Zuwanderung de facto gar nicht so weit auseinander. Der Begriff Obergrenze aber spaltet die Schwestern zutiefst. "Wenn jemand in Deutschland einen Asylantrag stellt, dann können wir das nicht von vornherein mit einem Verweis auf eine Obergrenze ablehnen", wiederholte nun CDU-Generalsekretär Peter Tauber in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die Position seiner Partei. Die Kanzlerin betonte im Bundestag, die Zuwanderung von 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Mehr Bewegung in Richtung CSU war nicht zu vernehmen.

Von Erbschaftsteuerreform bis innere Sicherheit

Sigmar Gabriel muss seine SPD unterdessen dazwischen manövrieren. Immer wieder suchte er zuletzt Distanz zu Merkel und zu Seehofer, sprach von den nötigen Voraussetzungen, um den Satz "Wir schaffen das" einhalten zu können. Und gleichzeitig wollen die drei Parteien noch einige andere Themen als Koalition durchbringen, um dem sich verfestigenden Eindruck der Handlungsunfähigkeit entgegenzuwirken. Es ist zwar mittlerweile Wahlkampf, und die Koalition scheint zerstrittener denn je. Doch der Koalitionsvertrag ist noch nicht abgearbeitet.

Da ist beispielsweise die Reform der Erbschaftsteuer: Das Bundesverfassungsgericht hatte die bisherigen Steuerprivilegien für Betriebserben als zu weitgehend gekippt und eine Neuregelung bis Ende Juni 2016 verlangt. Bund und Länder konnten sich aber nicht einigen. Sollte der dafür eingesetzte Vermittlungsausschuss sich nicht bis Ende September auf einen Kompromiss verständigen, wollen sich die Verfassungsrichter erneut damit befassen. Nach dem Treffen im Kanzleramt hieß es aus Teilnehmerkreisen, man wolle sich im Herbst einigen.

Das nächste Streitthema ist die innere Sicherheit: Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat nach vielen Anti-Terror-Gesetzen ein prall gefülltes "Sicherheitspaket" vorgestellt, das er noch umsetzen will: mehr Personal für die Sicherheitsbehörden, mehr Videoüberwachung, schärfere Gesetze, neue Härten für bestimmte Ausländer und Flüchtlinge. Bei der SPD ist man an vielen Stellen kritisch.

Die CSU und das Ziel der absoluten Mehrheit in Bayern

Außerdem auf der Agenda: die Angleichung der Renten in West und Ost. Und demnächst soll das Gesetz zu flexibleren Übergängen in die Rente kommen. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verhandeln zudem über die Förderung der Betriebsrenten. Ob aber die Aufwertung von Minirenten — die solidarische Lebensleistungsrente — kommt, ist offen.

Und auch die geplanten Freihandelsabkommen sorgen für Kummer in der Koalition: Geplant war, das Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) bis Ende 2016 unter Dach und Fach zu bringen. Ende August erklärte es Wirtschaftsminister Gabriel jedoch für "de facto gescheitert". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzierte sich von der Äußerung.

Während also die CSU in der Flüchtlingspolitik auch deswegen den offenen Kampf mit der Kanzlerin sucht, weil sie sich in Bayern 2018 wieder für eine absolute Mehrheit qualifizieren will, überdeckt dieser Streit wichtige Vorhaben der Koalition. Ein vorzeitiges Ende des Bündnisses scheint zwar nicht realistisch, jedoch sind die produktiven Zeiten vorbei.

(jd)
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