Entwürfe zum Koalitionsvertrag Große Koalition rückt von Bonn-Garantie ab

Berlin · Bonn-Befürworter sind alarmiert: Anders als in den vorherigen Koalitionsverträgen fehlt bei Schwarz-Rot dieses Mal das glasklare Bekenntnis zum Bonn-Berlin-Gesetz. Und zwar mit Absicht. Kommt im 23. Jahr der deutschen Einheit doch noch der Komplettumzug der Regierung von Bonn nach Berlin in Gang? Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich die Verhandler der Großen Koalition auf ein Abrücken von der üblichen Bonn-Garantie verständigt.

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Foto: dpa, Julian Stratenschulte

Bonn-Befürworter sind alarmiert: Anders als in den vorherigen Koalitionsverträgen fehlt bei Schwarz-Rot dieses Mal das glasklare Bekenntnis zum Bonn-Berlin-Gesetz. Und zwar mit Absicht.

Kommt im 23. Jahr der deutschen Einheit doch noch der Komplettumzug der Regierung von Bonn nach Berlin in Gang? Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich die Verhandler der Großen Koalition auf ein Abrücken von der üblichen Bonn-Garantie verständigt.

Die auch noch 2009 im Koalitionsvertrag von Union und FDP wiederholte Versicherung "wir bekennen uns zum Bonn-Berlin-Gesetz" fehlt in den bereits auf Fachebene beschlossenen Entwürfen für den Koalitionsvertrag. Nach Informationen unserer Zeitung ist das kein Versehen, sondern soll der Regierung in dieser Wahlperiode bewusst mehr Gestaltungsspielraum verschaffen.

Nach dem 1994 in Kraft getretenen Bonn-Berlin-Gesetz hat sich der Bund nicht nur zur Unterstützung der Kultur in der "Bundesstadt Bonn" verpflichtet, er hat auch zugesichert, dass die Mehrzahl der Regierungsmitarbeiter weiter in Bonn bleiben "soll". Um diese Soll-Vorschrift ist seit Langem ein Streit entstanden, weil die Schere zwischen Vorgabe und Realität immer weiter auseinander klafft. Eine unserer Redaktion vorliegende aktuelle Übersicht der Bundesregierung weist zum 30. Juni 2013 noch 7108,65 Stellen in den Bonner Dienststellen der Ministerien und des Kanzleramtes gegenüber 11.132,41 Stellen in Berlin aus. Damit beträgt das Verhältnis nicht mehr 50:50 plus eins zugunsten von Bonn, sondern inzwischen 61:39 zugunsten von Berlin.

Ausgerechnet "Bonner" lehnen Bekenntnis ab

Im Zuge seiner Bundeswehrreform hatte auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière mit dem Gedanken gespielt, das Ministerium komplett in Berlin zu konzentrieren. Faktisch wären dann zwar ähnlich viele Arbeitsplätze in nachgeordneten militärischen Behörden auf der Hardthöhe verblieben, doch mit dem Buchstaben des Bonn-Berlin-Gesetzes ist diese Entwicklung schwerlich in Einklang zu bringen.

Berlin-Befürworter verweisen allerdings darauf, dass es Sinn des Gesetzes gewesen sei, Bonn mit der Ansiedlung von Arbeitsplätzen für den Verlust des Regierungssitzes zu entschädigen. Dieses geschehe mit der Ansiedlung von Bundesbehörden, die — etwa beim Justizverwaltungsamt — sowohl die Aufgaben als auch die Räumlichkeiten bisheriger Bonner Ministeriumsdienststellen übernähmen und sich nur durch ein anderes Türschild auszeichneten.

In der Union sind es ausgerechnet Bonner, die ein Bekenntnis zum Bonn-Berlin-Gesetz ablehnen und mittelfristig den weiteren Umzug nach Berlin befürworten. Innenminister Hans-Peter Friedrich, der in Bonn privat ein Haus besitzt, und der in Bonn geborene Verteidigungsminister Thomas de Maizière haben es in ihren Arbeitsgruppen abgelehnt, eine Garantie für die Bundesstadt Bonn in das Abschlusspapier zu schreiben.

In der Arbeitsgruppe Außen, Verteidigung, Entwicklungshilfe ist nur davon die Rede, dass Bonn als Standort der Vereinten Nationen gestärkt werden solle. Die bundespolitische Bedeutung, immerhin haben noch sechs Ressorts ihren ersten Dienstsitz am Rhein, darunter das Verteidigungs-, das Umwelt- und das Gesundheitsministerium, fiel aus dem Textentwurf heraus. Auch in der Arbeitsgruppe Innen, die formal für das seit 1991 geltende Bonn-Berlin-Gesetz und die Aufteilung der Ressorts zuständig ist, ist von einer Bonn-Garantie nicht die Rede.

Kosten von jährlich zehn Millionen Euro

Nun wollen hinter den Kulissen der Bonner SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in der Abschlussfassung des Koalitionsvertrags doch noch einen Satz zugunsten des Bonn-Berlin-Gesetzes unterbringen. Neben Kelber und Nahles, deren Wahlkreis an Bonn grenzt und deren Ehemann in Bonn lebt, sind in der SPD kaum noch Bonn-Befürworter zu finden.

NRW-Ministerpräsident Hannelore Kraft betrachte das Thema mit "wenig Herzblut", heißt es in der SPD. In der Union gibt es nach dem politischen Karriereknick für Norbert Röttgen ebenfalls kaum noch "Bonner". Und seitdem die FDP aus dem Bundestag gewählt wurde, ist mit Noch-Außenminister Guido Westerwelle auch der prominenteste Bonn-Befürworter von der Bildfläche verschwunden.

Dennoch gibt Kelber nicht auf. "Bonn ist das zweite bundespolitische Zentrum Deutschlands", sagte der SPD-Politiker unserer Redaktion. Als Standort der Vereinten Nationen und internationaler Organisationen in Deutschland übernehme die Stadt eine wichtige Rolle für das Land. Deshalb steht für Kelber fest: "Ein Bekenntnis zur Stärkung Bonns gehört so selbstverständlich in die Koalitionsverhandlungen wie die Aussagen zur Rolle Berlins."

Bei der SPD war zuletzt eine Änderung in ihrem Abstimmungsverhalten zum "Bonn-Berlin-Beendigungsgesetz" aufgefallen. Die Linke bringt das in jeder Wahlperiode neu ein, um den Komplettumzug nach Berlin zu ermöglichen. Hatten die Sozialdemokraten das in der Vergangenheit stets mit abgelehnt, waren das beim jüngsten Versuch der Linken nur noch Union, FDP und Grüne. Die SPD enthielt sich.

Nach Rücksprache mit den CDU-Verhandlungmitgliedern aus NRW machte sich auch CDU-Landeschef Armin Laschet für Bonn stark. Er empfahl dem Redaktionsteam der Koalitionsverhandlungen, zwei weitere Sätze aufzunehmen: "Wir stehen uneingeschränkt zu den Vereinbarungen des Bonn-Berlin-Gesetzes. Die Bundesstadt Bonn ist das zweite bundespolitische Zentrum."

Die Steuerzahler kostet die Pendelei der Mitarbeiter der Bundesbehörden jährlich zehn Millionen Euro.

(may-)
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