Interview mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann Grüne brauchen eine Nummer eins

Berlin · Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Machtkampf bei den Grünen zur Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013, über die atomare Endlagerfrage und über das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.

Vom Bürgerschreck zum Bürgerlichen: Winfried Kretschmann
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Vom Bürgerschreck zum Bürgerlichen: Winfried Kretschmann

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Foto: ddp

Nach knapp einem Jahr Grün-Rot in Baden-Württemberg: Ist das ein Modell für die Zukunft?

Winfried Kretschmann: Ja klar, gar keine Frage. Wir hatten hier einen guten Start und setzen gute Akzente, zum Beispiel für bessere Bildung oder im Bereich der ökologischen Modernisierung. Auch die Politik des Gehörtwerdens wird positiv wahrgenommen. Ob es auch für die Zukunft ein Modell bleibt, bestimmen die Wähler.

Hat die SPD es verwunden, dass Sie nur Juniorpartner sein darf?

Kretschmann: Es ist für die Sozialdemokraten nicht ganz einfach. Aber das hat die SPD ja nicht selbst so entschieden, sondern der Wähler und daher kann sie es auch ertragen.

Apropos Dinge, die man nicht selbst entscheidet: Haben Sie Ihren Frieden mit Stuttgart 21 gemacht?

Kretschmann: Schon vor der Volksabstimmung war klar, dass wir das Ergebnis auf jeden Fall akzeptieren werden. Das ist das Wesen der direkten Demokratie. Aber wir müssen schauen, dass dieses Projekt im Sinne der Schlichtung in verbesserter Form umgesetzt wird. Wir werden dennoch nicht mehr dafür ausgeben. Wir haben die Kosten gedeckelt. Wir zahlen nicht mehr, als wir zugesagt haben.

Das heißt Bund oder Bahn müssen tiefer in die Tasche greifen, wenn das Projekt teurer wird?

Kretschmann: Die Bahn ist der Bauherr.

Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Regierungsmannschaft?

Kretschmann: Wir haben ein gutes Arbeitsklima im Kabinett. Die Reformprojekte, die wir uns vorgenommen haben, gehen wir Schritt für Schritt an. In der Umsetzung gibt es immer auch Reibereien. Das ist aber normal. Daher bin ich voll zufrieden.

Man hört und liest von vielen Streitereien in Ihrer Koalition.

Kretschmann: Wie gesagt: Es herrscht ein gutes Arbeitsklima. Bei zwei verschiedenen Parteien kann man nie erwarten, dass es immer vollständig rund läuft. Das liegt in der Natur der Sache.

Sie waren stets ein Solitär in Ihrer Partei. Hören die Grünen auf Bundesebene mehr auf Sie, seitdem Sie Ministerpräsident sind?

Kretschmann: Ja, das ist so. Ich führe eines der starken Länder im Bund und Die Grünen stellen zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten. Dass dieser dann Gewicht hat, steht außer Frage.

Wie macht sich das bemerkbar?

Kretschmann: Zum Beispiel bei der Endlagerfrage für den Atommüll. Als Baden-Württemberger haben wir die Frage der Endlagersuche wieder geöffnet, weg von der alleinigen Konzentration auf Gorleben. In dieser Frage kann nur der Maßstab sein, den sichersten Standort in Deutschland zu finden. Das muss nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden werden und da kommt der Müll dann auch hin. Dabei dürfen wir nicht nach dem Sankt-Florians-Prinzip vorgehen. Alles andere wäre bei Müll, der hunderttausend Jahre strahlt, nicht verantwortbar.

Denken Ihre Ministerpräsidenten-Kollegen in dieser Frage ebenso selbstlos?

Kretschmann: Jedenfalls haben wir den einmütigen Konsens, die Suche nach einem Endlager ergebnisoffen zu gestalten. Von dem ein oder anderen gibt es den Versuch, die Kriterien für die Endlagersuche so zu deichseln, dass das Endlager nicht ins eigene Land kommt. Davon sollte jeder Abstand nehmen, sonst gefährdet er den Prozess. Ich sehe auch mit Sorge, dass einzelne Bundespolitiker nun konfrontativ in die Debatte reingrätschen. Ich kann nur alle aufrufen, sich ernsthaft um eine tragfähige Lösung zu bemühen. Wir reden hier von Zeitläufen von hunderttausend Jahren. Da kann man sein Wirken nicht nach dem nächsten Wahltermin ausrichten. Parteitaktische Erwägungen sollten zurückgestellt werden. So eine Frage muss man in einem nationalen Konsens beantworten.

An der Spitze der Grünen auf Bundesebene tobt ein Machtkampf um die Spitzenkandidatur für 2013. Mit wie vielen Spitzenkandidaten sollten die Grünen bei der Bundestagswahl antreten?

Kretschmann: Ich war immer der Meinung, dass es das Beste ist, wenn man einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin hat. Man kann die Sache auch anders lösen, aber man muss sie schnell lösen. Sonst entfernt man sich von den Interessenslagen derer, von denen man gewählt werden will. Aber wie ich höre, wird der Bundesvorstand nächste Woche ein Verfahren vorschlagen.

Was halten Sie von zwei oder mehr Kandidaten?

Kretschmann: Man kann auch im Team antreten. Eine Doppelspitze ist meiner Meinung nach das Maximale für die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl.

Wer soll es machen?

Kretschmann: Dazu äußere ich mich nicht.

Die Grünen sind dabei, die Koalitionsoption Schwarz-Grün für 2013 zu schließen. Ist das richtig?

Kretschmann: Ich halte schon einmal gar nichts davon, zum jetzigen Zeitpunkt, anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl, Koalitionsdebatten zu führen. Jetzt müssen die Vorschläge, wie man das Land regieren will, in den Vordergrund gestellt werden. Man muss eigenständig sagen, was man möchte, mit den eigenen Kernthemen Nachhaltigkeit und ökologische Modernisierung im Vordergrund. Sehen Sie, wir waren die treibende Kraft beim Atomausstieg. Jetzt muss der Einstieg in die Energiewende konsequent und zielstrebig erfolgen. Die Bundesregierung kriegt das offensichtlich nicht hin. Sie ist zerstritten und sie verschleppt und verzögert diese entscheidende Aufgabe. Wer, wenn nicht die Grünen sollten da voran gehen und den Karren ziehen? Die Energiewende zu realisieren, das ist jetzt unser Job, darauf müssen wir uns konzentrieren. Personalquerelen und Koalitionsdebatten lenken nur davon ab. Ich kann meiner Partei nur raten, diese Aufgabe selbstbewusst und eigenständig anzunehmen und die Koalitionsfrage tief zu hängen.

Sie raten also auch davon ab, die Tür für Schwarz-Grün zum jetzigen Zeitpunkt zuzuschlagen?

Kretschmann: Ich bin strikt gegen jede Art von Ausschließeritis in Koalitionsfragen. Man muss Souveränität zeigen und dafür sorgen, dass sich die anderen an einem abarbeiten und nicht, dass man sich ständig an den anderen abarbeitet.

Im kommenden Jahr werden Sie der Vorsitzende der Ministerpräsidenten-Konferenz sein. Was wollen Sie bewegen?

Kretschmann: Ich möchte den Ländern im föderalen Gefüge eine kraftvolle Stimme verleihen, wie uns das schon beidem Atomausstieg und der Endlagersuche gelungen ist.

Ist der Bundesrat reformbedürftig?

Kretschmann: Wir müssen uns jedenfalls überlegen, wie wir den Bundesrat stärken gegenüber der Bundesregierung. Ich stelle fest, dass es im Bundesrat auch oft Zufallsmehrheiten gibt. Damit macht man sich nicht stark.

Das Interview führte Eva Quadbeck.

(csi/sap)
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