Neue Vorwürfe gegen den Linken-Politiker Gysi und die Stasi — eine unendliche Geschichte

Berlin · Gregor Gysi wird beschuldigt, über sein Verhältnis zur Stasi gelogen zu haben. Bislang wehrte sich der Linken-Politiker erfolgreich gegen die Vorwürfe, die ihn nun schon seit Jahren begleiten.

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Gregor Gysi gibt sich Mühe, die Sache möglichst weit herunterzuspielen. Der Bericht der "Welt am Sonntag" über Ermittlungen wegen neuer Stasi-Vorwürfe gegen ihn ist ihm nur eine kurze Reaktion auf seiner Facebook-Seite wert. Das Verfahren werde "selbstverständlich" eingestellt werden, schreibt er.

"Niemals" habe er eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben, wie es ihm in der Anzeige einer Einzelperson vorgeworfen wird. Und vorauseilend fügt Gysi noch hinzu: "Deshalb gibt es nicht den geringsten Grund, über die Kandidatur nachzudenken."

Damit meint er wohl seine Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl am 22. September. Seine Partei, die Linke, hatte erst vor drei Wochen ihr achtköpfiges Spitzenteam dafür vorgestellt. Gysi ist darin der wichtigste Mann.

In dem Ermittlungsverfahren wittert der Fraktionschef nun offenbar eine politische Kampagne gegen sich und seine Partei. Anders ist kaum zu erklären, dass er das Festhalten an seiner Kandidatur betont, ohne dass irgendjemand seinen Rückzug gefordert hätte.

Es ging um seine Tätigkeit als Anwalt

Gysi und die Stasi-Vorwürfe — das ist eine schier endlose Geschichte. Sie begleitet den heute 65-Jährigen durch seine komplette politische Laufbahn in der Bundesrepublik. Der Immunitätsausschuss des Bundestags sah es 1998 als erwiesen an, dass Gysi unter verschiedenen Decknamen wie "IM Notar" mit der Stasi zusammengearbeitet hat.

Er habe sich "in die Strategien des MfS (Ministeriums für Staatssicherheit) einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben", hieß es damals in einem Abschlussbericht, der in dem Ausschuss mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet wurde.

Vor Gericht wehrte sich Gysi allerdings stets erfolgreich gegen die Vermutung, er sei Stasi-Spitzel gewesen. Bisher ging es bei den Vorwürfen immer um die Tätigkeit Gysis als Anwalt von prominenten Oppositionellen wie Rudolf Bahro und Robert Havemann in der DDR - und vor allem um die Zeit bis 1986.

Die neuen Vorwürfe betreffen dagegen ein Ereignis nur neun Monate vor dem Mauerfall. Gysi soll im Februar 1989 zwei Stasi-Offizieren über ein Interview berichtet haben, das kurz zuvor zwei "Spiegel"-Reporter mit ihm geführt hatten. Die "Welt am Sonntag" schließt das aus einem dreiseitigen Vermerk, den sie im vergangenen Jahr von der Stasi-Unterlagen-Behörde erhalten habe.

Ein Jahr zuvor hatte Gysi nach Darstellung des Blattes in einem Rechtsstreit mit dem NDR eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, in der er eine Stasi-Mitarbeit erneut bestritten haben soll. Er habe "zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet", zitiert die "Welt am Sonntag" daraus.

Zuletzt 2008 Thema

Sollte sich herausstellen, dass Gysi dennoch die Stasi informiert hat, würden ihm bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe wegen falscher Versicherung an Eides statt drohen. Die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens bedeutet, dass es zumindest einen Anfangsverdacht gibt.

"Natürlich wiegt schon der Vorwurf schwer", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Immunitätsausschusses, der CDU-Politiker Thomas Strobl, der "Welt am Sonntag". "Und er wirkt in einem Strafverfahren auch schwerer als in einem Stasi-Überprüfungsverfahren, das ja keine Sanktionen gegen einen als Stasi-Spitzel überführten Abgeordneten kennt."

Parteifreunde Gysis wundern sich dagegen darüber, dass die neuen Vorwürfe wieder einmal in die Zeit vor einer Bundestagswahl platzen. "Jedes Mal, wirklich jedes Mal vor Wahlen die Stasi-Keule gegen Gregor Gysi. Haben die echt keine anderen Mittel?", twitterte der Berliner Landesverband der Linken.

Zuletzt gab es 2008 — im Jahr vor der letzten Bundestagswahl — eine größere Stasi-Diskussion um Gysi. Damals wurde eine Aktuelle Stunde im Bundestag anberaumt, in der der Fraktionschef die Vorwürfe als gemeinsamen politischen Angriff der Stasi-Unterlagen-Behörde und der konkurrierenden Parteien wertete. "Seit Jahren versuchen Sie mit allen Mitteln, mich zu beschädigen und meine Partei zu treffen", sagte Gysi damals. "Es zeigt sich aber immer wieder, dass Sie frei von Kenntnissen und zumindest oftmals nur böswillig reagieren. Vom Leben eines Anwalts in der DDR haben Sie schlicht und einfach keine Ahnung."

(dpa)
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