Parteitag in Hamburg Die Grünen kreisen um sich selbst

Berlin · Auf ihrem Parteitag am Wochenende weichen die Grünen zentralen innenpolitischen Themen aus. Stattdessen werden sich der wirtschaftsfreundliche Winfried Kretschmann und die Parteilinke Simone Peter einen verbalen Schlagabtausch liefern.

 Claudia Roth (von links), der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Vorsitzende Cem Özdemir, die beiden Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckhardt und der frühere Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin

Claudia Roth (von links), der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Vorsitzende Cem Özdemir, die beiden Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckhardt und der frühere Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin

Foto: dpa, Wolfgang Kumm

Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, hält ein Schild hoch. "Mehr Biss. Grün" steht darauf. Das sei das Motto des Bundestagsparteitags, der heute in Hamburg beginnt. "Wir wollen starke Kante gegen die große Koalition zeigen", sagt Kellner, während er weiter die Botschaft hochreckt. Im Grunde also wüssten die Grünen, worauf es jetzt ankäme: endlich die Rolle des intelligenteren Teils der Mini-Opposition im Bundestag anzunehmen und die große Koalition mit schlagenden sozial- und wirtschaftspolitischen Argumenten in die Enge zu treiben. Doch genau dies sind die Grünen auch ein Jahr nach der Wahlschlappe von 2013 nicht in der Lage einzulösen.

Statt mit der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der großen Koalition beschäftigen sie sich auf ihrer dreitägigen Bundesdelegiertenkonferenz mit einer nebulösen "Freiheitsdebatte", vielen gut gemeinten Vorschlägen zur Ernährungspolitik, einer besseren Abstimmung der Grünen in Bund und Ländern sowie vielen außenpolitischen Fragen. Allein beim Klimaschutz und in der Flüchtlingspolitik wird die Parteitagsregie konkreter.

Ansonsten beschäftigen sich die Grünen drei Tage lang mit sich selbst. Hinter dem Begriff "Freiheitsdebatte", die heute zum Auftakt geführt wird, verbirgt sich ein ungelöster Richtungsstreit. Nach dem Führungs- und Generationswechsel von 2013 sind die Grünen weiter uneinig, wohin sie marschieren sollen: Vielen Realo-Politikern, angeführt vom starken Landesverband Baden-Württemberg und dem dortigen Landesvater Winfried Kretschmann, war sofort klar, dass sich die Partei unter der Führung Jürgen Trittins zu weit nach links bewegt hatte. So weit, dass sich zu viele Wähler von den Grünen abwandten. Doch der Abschied vom alten Wahlprogramm fällt vielen linken Landesverbänden so schwer, dass sie ihn bisher kaum mitmachen wollen.

Aufrührer und Ober-Realo Kretschmann wird in der "Freiheitsdebatte" heute Abend das Wort ergreifen und erneut dafür werben, die Grünen wirtschaftsfreundlicher zu machen. Das hatte er schon auf dem baden-württembergischen Landesparteitag vergangene Woche getan. Die Partei werde nur dann erfolgreicher sein, wenn sie den Bürgern eine wählbare wirtschaftspolitische Alternative zur Union und zur FDP anbiete, meint Kretschmann. Sollte es in dieser "Freiheitsdebatte" also auch um die Freiheit der Wirtschaft gehen, wäre Kretschmann an ihrer Seite. Die Mehrheit der Grünen an der linken Basis dagegen tickt ganz anders: Sie sieht sich weiter an der Seite derer, zu deren Gunsten mehr umverteilt und die Wirtschaft reguliert werden muss.

Stimme der Linken ist vor allem Parteichefin Simone Peter, die eine Art Gegenrede zu Kretschmann halten wird. Ihr ist schon unterstellt worden, sie sei die Marionette Trittins in der neuen Führung. Das allerdings stimmt so nicht: Peter weiß sehr gut, dass ihr eine Schlüsselrolle dabei zukommt, die Partei mehr in die Mitte zu rücken. Auch deshalb ist sie Vorsitzende der steuerpolitischen Kommission der Partei, die die Steuererhöhungsforderungen von 2013 grundlegend überarbeiten soll. Dabei geht es etwa um weniger schmerzhafte Einschnitte für bestehende Ehen bei der geplanten Abschaffung des Ehegattensplittings.

Doch das innerparteilich höchst umstrittene Steuer-Thema wird auf dem Parteitag ganz ausgelassen. Peters Kommission sei erst am Anfang, Ergebnisse würden erst in das neue Wahlprogramm 2017 eingearbeitet, hieß es im Vorfeld des Parteitags.

Einem anderen Thema dagegen wird nicht ausgewichen: der eigenen Vergangenheit. Die Partei hatte den Göttinger Parteienforscher und Sozialdemokraten Franz Walter beauftragt, die Gründe aufzuarbeiten, warum die Grünen in der Anfangszeit pädophile Handlungen sogar legalisieren wollten. Walters mageres Ergebnis: Die Grünen waren bis in die 80er Jahre hinein besonders empfänglich für den damaligen Zeitgeist, der Pädophilie verharmloste. Auf dem Parteitag wollen sich die Grünen dafür nun nochmals vollumfänglich entschuldigen. Vertreter der verantwortlichen älteren Generation, etwa Trittin oder der Ex-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck, wollen aber nicht Stellung beziehen. Dies tun nur die Jüngeren: Simone Peter und Fraktionsvize Katja Dörner springen in die Bresche.

Alle zusammen wollen sie am Ende aber das erste rot-rot-grüne Bündnis auf Landesebene feiern. Die Thüringer Grünen sollen von den Delegierten in Hamburg warmen Applaus dafür ernten, dass sie dem Linken Bodo Ramelow in Erfurt zur Mehrheit verhelfen werden und die Grünen damit künftig im achten Bundesland mitregieren. Warum das ein Grund zum Feiern ist, verrät ein Satz eines führenden Grünen-Politikers: "Wir wissen dann auch schon, wer in Thüringen welchen unserer beiden Ministerposten bekommt."

(mar)
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