Abrechnung mit den Genossen Hannelore Kraft misstraut der SPD

Düsseldorf · Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Kraft beklagt sich öffentlich über die schlechten Sitten in der Bundes-SPD.

 Hannelore Kraft hadert immer wieder mit der Bundespolitik. Auch wegen ihrer eigenen Partei.

Hannelore Kraft hadert immer wieder mit der Bundespolitik. Auch wegen ihrer eigenen Partei.

Foto: dpa, hka htf

Hannelore Kraft gehört nicht zu den Menschen, die erst reden und dann nachdenken. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin ist eine besonnene Politikerin, ihr entweicht selten etwas, das sie hinterher bereuen könnte. Umso bemerkenswerter war der Auftritt der Sozialdemokratin am Freitagabend im sachsen-anhaltinischen Ahlsdorf. Auf einer Podiumsdiskussion vor 250 Gästen ließ Kraft laut einem Bericht der "Welt am Sonntag" ihrem Frust über die Berliner Politik freien Lauf. Vor allem über die eigene Parteispitze beklagte sie sich bitter.

Die "Art und Weise, wie in Berlin Politik gemacht wird", widerspreche ihrer persönlichen Haltung, sagte Kraft. Der von Parteifreunden 2008 provozierte Rücktritt des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Beck gehe ihr bis heute nahe. "Das war für mich der schwärzeste Moment in der Parteigeschichte", sagte Kraft.

Doch seit dem Sturz Becks hat sich offenbar nach Krafts Einschätzung nicht viel geändert im Intrigantenstadl der Bundes-SPD. Denn auf die Frage, ob sich so etwas wie der erzwungene Rücktritt von Kurt Beck noch einmal wiederholen könnte, antwortete die stellvertretende Parteivorsitzende: "Wir sind alle darauf gefasst." Wenn sie einer bekämpfe, "dann in der Regel die eigenen Leute", sagte Hannelore Kraft verbittert.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin war lange Zeit als Kanzlerinnen-Reserve der SPD im Gespräch. Wegen ihrer hohen Popularität galt eine mögliche spätere Kanzlerkandidatur Krafts als vielversprechender als etwa die Kandidatur von Parteichef Sigmar Gabriel, der in den Beliebtheitswerten weit hinter ihr rangiert. Doch die Strahlkraft von Hannelore Kraft ließ deutlich nach, als sie nach der Bundestagswahl gegen die Bildung einer großen Koalition in Berlin zu Felde zog. Gabriel gewann zunehmend Sympathien, weil er die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen ließ. Kraft hatte sich daraufhin zurückgezogen und wenig später in einer Sondersitzung der SPD-Landtagsfraktion erklärt, sie werde "nie, nie als Kanzlerkandidatin antreten". Ihr Platz sei für alle Zeiten in Nordrhein-Westfalen.

Das Verhältnis zwischen Kraft und Gabriel sowie anderen Bundespolitikern war nach der Wahl deutlich abgekühlt. "Ich sage meine Meinung, so wie sie ist. Das hat in den Koalitionsverhandlungen auch nicht jedem gefallen", sagte Kraft in Sachsen-Anhalt. Sie hatte bei den Verhandlungen die Arbeitsgruppe Energie geleitet, und musste sich schon damals den Wünschen des späteren Bundeswirtschafts- und Energieministers Gabriel unterordnen. Wäre es allein nach Kraft gegangen, hätten neue Hilfen für die unrentable Kohle-Kraftwerke im Koalitionsvertrag wohl eine noch größere Rolle gespielt.

Bei Krafts Abrechnung mit Berlin und der Bundes-SPD dürften diese persönlichen Rückschläge nach der Wahl eine Rolle gespielt haben. Allerdings teilen in der SPD viele die Einschätzung, dass die Umstände des Rücktritts von Kurt Beck kein schönes Licht auf die damalige Parteispitze geworfen hat. Beck wurde als SPD-Vorsitzende nicht nur von den politischen Gegnern und den Medien als Berlin-inkompatibler Provinzler gemobbt, maßgeblich trugen auch Spitzengenossen dazu bei, bis Beck 2008 schließlich entnervt hinwarf. Hinter den Kulissen soll vor allem Franz Müntefering den Sturz von Beck eingefädelt haben, um selbst Parteivorsitzender zu werden. Nachdem die SPD 2009 nur 23 Prozent der Stimmen erreichte, nahm auch Müntefering seinen Hut, danach übernahm Gabriel.

Doch auch Gabriel konnte die Intrigenspielchen nicht völlig abstellen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bekam den Unmut der Genossen immer wieder zu spüren, sein Kontrahent Frank-Walter Steinmeier, der heute Außenminister ist, funkte ihm als Fraktionsvorsitzender gerne mal dazwischen.

Trotzdem distanzieren sich führende Parteifreunde von Hannelore Krafts Einschätzung, dass sich seit 2009 nichts geändert habe. "Hannelore Kraft hat völlig Recht, was die damaligen Intrigen gegen Kurt Beck anging. Aber die SPD hat aus dem Fall Beck gelernt, das will ich jedenfalls schwer hoffen", sagte Parteivize Ralf Stegner unserer Redaktion. "Sigmar Gabriel führt die Partei so, dass der Teamgeist zugenommen hat."

Stegner kann Krafts Entscheidung, nicht nach Berlin zu wollen, gut nachvollziehen. "Sie ist ein Politikertyp vom Schlage eines Johannes Rau, der sich in der Landespolitik wohler fühlt als in der Bundespolitik. Hannelore Kraft zählt sich nicht zu den Karrieristen in der Partei, das wollte sie sagen", sagte Stegner. Für die Partei sei Kraft aber "extrem wichtig". Entscheidungen würden nicht ohne sie gefällt.

Auch der Chef der NRW-Landesgruppe der SPD-Abgeordneten im Bundestag, Axel Schäfer, hielt die Kritik Krafts für nicht gerechtfertigt. "Wie die SPD damals mit Kurt Beck umgegangen ist, war sehr unschön. Da hat Hannelore Kraft völlig Recht. Aber das hat sich spätestens unter Gabriel geändert", sagte Schäfer unserer Redaktion. "Wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Heute weiß die SPD, dass sie nicht alle zwei Jahre den Parteivorsitzenden austauschen darf."

Weiß die SPD das wirklich? Pikanterweise wächst seit einigen Wochen die parteiinterne Kritik am aktuellen Parteichef. Gabriel halte sich zu sehr an den Koalitionsvertrag mit der Union, statt neue, eigene SPD-Themen zu setzen. Die Unruhe wächst, weil sich die Umfragewerte der SPD nicht bessern wollen. "Wenn man für seinen Wahlkampf bei einer Bundestagswahl 25 Prozent bekommt, braucht man sich nicht zu wundern, dass man auch bei 25 Prozent bleibt, wenn man die Themen dann in Regierungsverantwortung umsetzt", sagte etwa Garrelt Duin, nordrhein-westfälischer SPD-Wirtschaftsminister.

(mar)
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