Ein Betroffener erzählt Meine zehn Jahre mit Hartz IV

Düsseldorf · 2005 wurde Hartz IV eingeführt. Die damalige rot-grüne Regierung wollte fördern und fordern. Nun zeigt sich: Viele Leistungsempfänger sind auf der Strecke geblieben und fanden nie wieder dauerhaft Arbeit. Ein Betroffener (52) erzählt.

Hartz IV: Ein Betroffener erzählt von seinen zehn Jahren als Empfänger
Foto: hans-jürgen bauer

Am unangenehmsten war mir der Ein-Euro-Job. Mit neongelben Warnwesten waren wir in der Stadt unterwegs. Jeder wusste sofort: Das sind die Faulenzer. Die Dummen. Die, die keiner braucht. Wir sollten gucken, ob die Laternen oder Bürgersteige kaputt sind. Dabei war mein Traum immer, Polizist zu werden. Inzwischen bekomme ich seit zehn Jahren Hartz IV.

Vieles hat sich anders entwickelt als geplant. Das fing nach der Schule an. Ich habe 1979 nach der Mittleren Reife eine Lehre zum Groß- und Außenhandelskaufmann angefangen, aber nach sechs Monaten abgebrochen, weil ich mit der Chefin nicht klarkam. Mitten im Ausbildungsjahr war ich dann beim Arbeitsamt. Dort hat man mir eine Lehre als Handelsfachpacker vermittelt.

Irgendwann fühlte ich: Da muss noch etwas anderes kommen

Das war eine Hilfsarbeit, ich hätte mit meinem Abschluss sicher etwas Besseres gefunden. Aber meine Eltern wollten nicht, dass ich bis zum nächsten Ausbildungsstart rumhänge. Ich hätte warten und einen anderen Beruf erlernen sollen. Stattdessen habe ich die Ausbildung zu Ende gemacht. Ich habe dann in einem Großhandel für Messingbeschläge gearbeitet. Das war eine tolle Zeit, ich habe gut verdient, konnte mir ein Auto leisten, bin in den Urlaub gefahren und habe mir keine Gedanken über die Zukunft gemacht.

So ging das einige Jahre, doch irgendwann fühlte ich: Da muss noch was anderes kommen. Sachen aus dem Lager zu holen, ist keine Kunst. Ich habe mich für den Job geschämt, wenn Schulfreunde erzählt haben, was sie so machen. Als ich den Meister machen wollte, hat sich mein Chef quergestellt.

Weil ich damals sowieso mit meiner damaligen Lebensgefährtin zusammenziehen wollte, habe ich gekündigt. Wir hatten uns am Niederrhein eine Eigentumswohnung gekauft, und ich hatte einen neuen Arbeitsplatz in Aussicht. Dann ging viel schief. Der Bauträger war unseriös und unsere Baufinanzierung eng gestrickt. Nach ein paar Monaten ging uns das Geld aus, wir konnten die Wohnung nur knapp vor einer Zwangsversteigerung retten. Ich hatte einen neuen Job, aber es gab Probleme mit dem Chef. Wir hatten mündlich verabredet, dass ich nach drei Monaten 300 Mark mehr bekomme. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Ich bin vors Arbeitsgericht gezogen und habe Recht bekommen. Danach wurde ich aber an die Luft gesetzt.

13 Fakten zu Hartz IV
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Foto: dpa, Oliver Berg

Viel von der Umschulung versprochen

Meine Partnerin hat gedrängt, dass ich mir etwas Neues suchen soll. Aber ich wollte nicht mehr ins Lager zurück. Ich wollte mir beweisen, dass ich nicht umsonst auf der Realschule war. Das war 1996, da war ich Mitte 30. Im Grunde war das der Wendepunkt. Die Beziehung ging in die Brüche, ich hatte keinen Job mehr und nach dem Verkauf der Wohnung 30.000 Mark Schulden.

Mitte der 90er merkte ich, dass es immer schwieriger wurde, schnell einen gut bezahlten Job zu bekommen. Ich habe über das Arbeitsamt eine Umschulung zum Industriekaufmann gemacht und bin mit Mitte 30 wieder in mein ehemaliges Kinderzimmer eingezogen. Für die Wochenenden habe ich mir einen Job gesucht, so dass ich in Raten die Schulden abstottern konnte.

Hartz-IV-Urteile des Bundessozialgerichts
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Foto: ddp

Ich habe mir von der Umschulung viel versprochen, wurde aber enttäuscht. Auch die anderen aus meiner Klasse haben nichts bekommen, obwohl einige jünger waren und Abitur hatten. Man fragt sich, warum der Steuerzahler sowas bezahlen muss, wenn die Leute am Arbeitsmarkt nicht gebraucht werden.

Eine Absage nach der nächsten

2003 hatte ich meine letzte Festanstellung über eine Zeitarbeitsfirma. Ich war in einer Druckerei eingesetzt, die insolvent ging. Da musste ich als Erster gehen. Ich brauchte danach eine Auszeit. Ich wollte mich nicht mehr bewerben, ich hatte keine Lust mehr. Die Zeitarbeitsfirma hat in mein Zeugnis hineingeschrieben, ich sei Mitarbeiter des Monats geworden.

Und vier Wochen später sitzt man wieder vor der Tür. Da fühlt man sich verhöhnt. Danach gab es eine Absage nach der nächsten, und ich rutschte in Hartz IV. Anfangs wurde ich noch zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, war aber mit den Angeboten nicht zufrieden. Die Stundenarbeitszeit war höher, der Aufgabenbereich breiter und der Lohn niedriger als früher. Rückblickend muss ich sagen, ich habe mich falsch verhalten.

Irgendwann musste ich feststellen, dass ich abgeschrieben war. Auch vom Arbeitsamt. Ich habe zwar noch 400-Euro-Jobs gehabt und Regale eingeräumt. Am Ende ist aber nie mehr draus geworden. Mich ärgert, wenn Politiker erzählen, wie gut die Jobs seien, um einen Fuß in die Tür zu bekommen. Viele von ihnen reden über Probleme, die sie selbst nicht kennen. Zur Wahl gehe ich trotzdem noch, das empfinde ich als meine Pflicht.

Irgendwann hat das Amt gesagt: Sie finden sowieso nichts mehr. In meinen alten Beruf konnte ich nicht zurück, weil ich nach einem doppelten Leistenbruch und einem Bandscheibenvorfall nichts Schweres heben durfte. Wegen der langen Arbeitslosigkeit war ich psychisch am Ende. Man kann sich nicht vorstellen, was vom Amt für Druck aufgebaut wird. Mir wurden zwar nie Leistungen gekürzt, aber irgendwann wollte ich in Frührente, um meine Ruhe zu haben. Dafür kümmere ich mich jetzt um meine zwei Töchter. Sie sind vier und sieben Jahre alt und treiben mich an. Sie geben meinem Tag eine Struktur. Ich hoffe, dass sie mal einen guten Abschluss machen und Jobs finden, die ihnen Spaß machen.

Die Zeit bei der Tafel genieße ich

Kurz nachdem unsere älteste Tochter auf die Welt kam, bin ich zum ersten Mal zur Tafel gegangen. Diesen Schritt zu gehen, hat Überwindung gekostet. Aber ich finde, dass ich mich vor meinen Kindern nicht schämen muss. Die Lebensmittel würden sonst weggeworfen. Die Zeit bei der Tafel genieße ich. Da kommt man aus seinem Alltag raus. Das Geld ist so knapp, dass wir uns am kulturellen Leben kaum beteiligen können. Richtige Hobbys habe ich daher nicht. Ich habe früher einen Golf-Anfängerkurs gemacht, die Aufnahmegebühren konnte ich mir aber nicht leisten. Ein Hartz-IV-Empfänger auf dem Golfplatz sähe vermutlich auch komisch aus.

Meine heutige Frau und ich fühlen uns einsam. Wir sind isoliert. Ich habe nur noch meinen Vater, die Familie meiner Frau lebt in Russland und wird uns vermutlich nie besuchen können. Aber eigentlich geht es uns gut. Ich finde nicht, dass der Hartz IV-Satz unangemessen niedrig ist. Wer jammert, würde auch mit mehr Geld nicht auskommen.

Natürlich denke ich nicht immer positiv. Es gab sogar Zeiten, in denen ich mich vor einen Zug werfen wollte. Seit die Kinder da sind, ist das anders. Im Moment bekommen wir monatlich etwa 800 Euro vom Amt. Unser gemeinsames Ziel ist, dass wir das Geld in den nächsten Jahren selber erwirtschaften. Ich würde lieber auf 100 Euro verzichten, als weiter betteln zu müssen. Das klingt komisch, aber so fühlt es sich für mich an. Und vielleicht können wir uns irgendwann unseren Traum erfüllen und näher an der Nordsee wohnen.

Protokolliert von Florian Rinke

(fr)
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