Interview mit Katrin Göring-Eckardt "Hier wird eine Versorgungsstelle für Pofalla geschaffen"

Berlin · Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt fordert von der Kanzlerin, endlich zum umstrittenen Wechsel ihres ehemaligen Kanzleramtsministers Ronald Pofalla in den Vorstand der Deutschen Bahn Stellung zu beziehen. Die Regierung soll eine dreijährige Karenzzeit für wechselwillige Spitzenpolitiker gesetzlich einführen. Auch Pofalla soll sich daran halten.

 Katrin Göring-Eckardt plädiert für eine dreijährige Karenzzeit für wechselwillige Spitzenpolitiker.

Katrin Göring-Eckardt plädiert für eine dreijährige Karenzzeit für wechselwillige Spitzenpolitiker.

Foto: dpa, Maurizio Gambarini

Bisher sind die Grünen noch wenig sichtbar in der neuen Legislaturperiode. Wissen Sie nicht, wie Sie die große Koalition angreifen können?

Göring-Eckardt Ihr Eindruck täuscht. Der Parlamentsbetrieb beginnt erst jetzt nach den langen Koalitionsverhandlungen und nun werden wir die großen Schwachstellen der Regierung thematisieren: Der Koalitionsvertrag vernachlässigt die Generationengerechtigkeit, den Klimaschutz und die Freiheitsrechte der Bürger. Der Koalitionsvertrag geht zu Lasten der kommenden Generationen, an die eigene Wählerklientel verteilen CDU, CSU und SPD dagegen Geschenke. Diese Schwächen werden wir auf- und angreifen.

Was unternehmen Sie, um die Rechte der viel zu kleinen Opposition im Bundestag zu stärken?

Göring-Eckardt Oppositionsrechte sind keine Rechte, die uns die große Koalition gnädigerweise gewährt, sondern sie müssen rechtlich verbrieft werden in der Geschäftsordnung des Bundestags. Notfalls gehen wir vor das Verfassungsgericht, wenn das Gesamtpaket zur Stärkung der Oppositionsrechte nicht stimmt, das uns Union und SPD vorlegen. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass immer der Bundestagspräsident dafür sorgt, dass es in Debatten genügend Gegenrede gibt.

Welche Mindest-Redezeit für die Opposition schwebt Ihnen vor?

Göring-Eckardt Wenigstens die erste Hälfte jeder Bundestagsdebatte muss aus Rede und Gegenrede bestehen. Das bedeutet als Faustregel: Bei einer Stunde Debattenzeit wollen wir 40 Minuten zu gleichen Teilen an die Redner von Koalition und Opposition und die restlichen 20 Minuten nach Fraktionsstärke verteilen. Unsere Geduld geht hier langsam zu Ende. Noch im Januar sollte abschließend geklärt sein, welche Oppositionsrechte Grüne und Linkspartei in dieser Legislaturperiode konkret bekommen.

Was halten Sie vom Verhalten der Kanzlerin bei der Personalie Pofalla?

Göring-Eckardt Man gewinnt den Eindruck, das Kanzleramt wäre der Personalpool für die Wirtschaft. Das fing mit der Staatsministerin Hildegard Müller an, die 2008 zum Energiewirtschaftsverband wechselte, ging über Eckart von Klaeden, der zu Daimler ging, bis hin zu Ronald Pofalla, der zur Bahn gehen soll. Die Kanzlerin muss jetzt dafür sorgen, dass es sehr bald eine Regelung für Karenzzeiten beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft gibt. Die Kanzlerin kann nicht zulassen, dass Herr Pofalla so schnell auf die andere Seite wechselt und einfach Insiderinformationen aus erster Hand mitnimmt, denn er hat in der vergangenen Legislaturperiode viele Verhandlungen mit der Bahn geführt — bis hin zur Besetzung des Aufsichtsrats-Chefs Utz-Hellmuth Felcht, den er selbst inthronisiert hat. Hier wird eine Versorgungsstelle für Pofalla bei der Bahn geschaffen.

Welche Karenzzeit fordern Sie für Politiker?

Göring-Eckardt Wenn jemand selbst, wie Pofalla, Entscheidungen getroffen hat, die den künftigen Arbeitgeber betreffen, muss die Übergangszeit drei Jahre betragen. Hier erwarte ich eine schnelle, rechtlich verbindliche Regelung von der Regierung. Die Kanzlerin muss dafür sorgen, dass der Gesetzentwurf zu den Karenzzeiten schnell vorgelegt wird. Und sie muss dafür sorgen, dass sich dann auch Herr Pofalla an diese Verabredung hält.

Was halten Sie vom Vorstoß des Gesundheitsministers, ein Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe auf den Weg zu bringen?

Göring-Eckardt Grundsätzlich ist das gut. Wir brauchen eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe. Bei ethischen Fragen wäre es allerdings sinnvoller diese Regelung fraktionsübergreifend vom Parlament und nicht allein von der Regierung auf den Weg zu bringen. Es reicht aber nicht, Sterbehilfe einfach zu verbieten. Vielmehr muss das Thema des würdevollen Sterbens insgesamt auf die politische Agenda. Das bedeutet auch, dass dafür mehr Mittel über die gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden müssen.

Wie wollen die Grünen die wachsenden sozialen Probleme mit Armutsflüchtlingen aus Rumänien und Bulgarien in vielen Kommunen angehen?

Göring-Eckardt Die meisten Zuwanderer zahlen in unsere Sozialsysteme ein. Wer hierher kommt, weil er besonders arm ist, kommt nicht, um Sozialleistungen zu beziehen, sondern um hier zu arbeiten. Wer, wie die CSU unterstellt, Bulgaren und Rumänen kämen nur hierher, um Sozialleistungen abzukassieren, betreibt ausländerfeindliche Hetze. Die Kanzlerin handelt nach dem Motto: Wenn ich nicht weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. Sie könnte aber auch einfach auf die kommunalen Spitzenverbände zugehen und mit ihnen über konkrete Hilfen des Bundes beraten. Die Bundesregierung könnte hier in der EU viel stärker Druck machen, dass die dafür vorgesehenen Gelder aus den EU-Sozialfonds in Bulgarien und Rumänien für die Integration der Roma und Sinti auch wirklich abgerufen und eingesetzt werden.

Ist die Zeit der direkten Koalitionsaussagen der Grünen vorbei?

Göring-Eckardt Wir werden eigenständig agieren und jetzt nicht vier Jahre Koalitionsverhandlungen in der Opposition führen. Am Schluss schauen wir mit wem wir wieviel durchsetzen können. In Hessen konnten wir viel Grünes mit der CDU durchsetzen, die Linke war noch nicht einmal bereit über die Finanzierbarkeit ihrer Vorschläge zu reden. Und im Bund wird man sehen, ob die Linke regierungsfähig werden will oder Radikalopposition bleibt.

Das Gespräch führten Birgit Marschall und Eva Quadbeck.

(mar)
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