Interview mit Holger Münch BKA befürchtet Gewalt im Wahljahr

Berlin · Beim Bundeskriminalamt wächst die Sorge vor einer möglichen Gewaltwelle im Wahljahr 2017. Der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, spricht im Interview zudem über die wachsende Terrorgefahr in Deutschland.

 Holger Münch beobachtet einen "Aufschaukelungsprozess".

Holger Münch beobachtet einen "Aufschaukelungsprozess".

Foto: dpa, mkx htf

Wie entwickelt sich die Kriminalität durch Flüchtlinge?

Münch Das BKA hat im Herbst vergangenen Jahres dazu erstmalig eine Lageübersicht erstellt, an der sich seit Anfang des Jahres alle Bundesländer beteiligen. Auf diese Weise haben wir im ersten Halbjahr 2016 insgesamt 142.500 Straftaten, begangen durch Zuwanderer, registriert. Die Fallzahlen sind von Januar bis Juni um 36 Prozent zurückgegangen, die Entwicklung ist also rückläufig. Das hat verschiedene Ursachen: Etwa die zunehmenden Bemühungen um Integration oder der seltenere Aufenthalt in Massenunterkünften, was sich sicherlich auch konfliktmindernd auswirkt. Wir sehen also eine leichte Entspannung. Unverändert bilden Vermögens- und Fälschungsdelikte den größten Teil der Straftaten mit 30 Prozent, wozu auch das sogenannte Schwarzfahren gehört. Schwere Straftaten gibt es auch, aber in deutlich geringerem Umfang.

Gibt es Unterschiede nach Nationalitäten?

Münch Ja, eindeutig. Zugewanderte aus Syrien, dem Irak und Afghanistan sind deutlich seltener auffällig, wenn man die Straftaten ins Verhältnis zu den erfassten Registrierungszahlen setzt. Höhere Auffälligkeiten sehen wir insbesondere bei Personen aus dem Maghreb, aus den afrikanischen Staaten Gambia, Nigeria und Somalia sowie aus Georgien und der Balkan-Region. Daraus leiten wir auch polizeiliche Schwerpunkte der Kriminalitätsbekämpfung ab.

Wie sieht es bei Straftaten gegen Flüchtlinge aus?

Münch Seit Jahresbeginn haben wir bereits 740 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert, darunter waren 58 Brandstiftungen. Wenn es auf diesem hohen Niveau weiter geht, werden wir wie 2015 Ende des Jahres wieder über tausend Fälle zu verzeichnen haben. Es gibt daher überhaupt keinen Grund zur Entwarnung. Nehmen Sie zum Vergleich etwa das Jahr 2014, da hatten wir 199 Straftaten, darunter sechs Brandstiftungen.

Was lässt sich über die Täter sagen?

Münch Fast jeder zweite Tatverdächtige ist vorher noch nie polizeilich in Erscheinung getreten und Dreiviertel der Tatverdächtigen waren der Polizei bis dahin nicht als politisch motivierte Täter bekannt. Es sind also nicht mehr nur Personen aus dem typischen rechten Spektrum, die sich aufgerufen fühlen, solche Straftaten zu begehen. Außerdem kommen sie in der Regel aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Tatortes. Wir sehen durchaus die Gefahr, dass sich hier Strukturen verfestigen könnten, aber es gibt bisher keine Beweise für übergreifende, organisierte Straftäterverflechtungen. Unsere Strategie bleibt es, solche Strukturen sofort zu zerschlagen. Wehret den Anfängen - auch das ist eine Lehre aus dem Umgang mit dem NSU.

Die politische Motivation steht nun auch noch unter dem Eindruck Ihrer Ermittlungen gegen Terrorverdächtige mit IS-Kontakt unter den Flüchtlingen…

Münch Das ist natürlich ein hoch-emotionales Thema. Seit den Anschlägen von Paris wissen wir, dass der IS den Flüchtlingsstrom zwar nicht braucht, um Täter nach Europa zu bringen, aber dass er ihn dennoch gezielt nutzt, um Verunsicherung in der Bevölkerung hervorzurufen und Stimmung gegen die Flüchtlinge zu machen. Es ist ja gerade erklärtes Ziel der Terroristen, Angst zu erzeugen. Wir gehen jedem der über 400 Hinweise auf mögliche Kontakte von Flüchtlingen zu terroristischen Organisationen sehr genau nach, die allermeisten stellen sich als nicht zutreffend heraus.

Wie viele waren begründet?

Münch Aktuell führen die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern 68 Verfahren in diesem Zusammenhang, darunter sind einige wenige mit einer gewissen Relevanz, wie man jetzt auch bei den Festnahmen in Schleswig-Holstein sehen konnte.

Und dann kommen auch noch gefälschte Papiere ins Spiel…

Münch Wir brauchen von jeder Person, die sich in Deutschland aufhält, die biometrischen Daten, sprich Fingerabdrücke. Nur so können wir sie bei Überprüfungen auch eindeutig erkennen. Technische Lücken hat das Innenministerium kurzfristig mit einem funktionierenden System geschlossen. In Europa liegt bei der Identifikation noch einiges im Argen. Wir können beispielsweise im Schengener-Informationssystem noch nicht automatisiert nach biometrischen Daten suchen. Und selbst wenn die Recherche in der Eurodac-Datenbank einen "Treffer" meldet, wissen wir immer noch nicht, um wen es sich handelt. Das ist dann erst noch durch eine weitere Nachfrage in dem entsprechenden ausländischen Staat abzuklären. Hier müssen wir deutlich besser und schneller werden. Zur Entwicklung eines solchen effizienten europäischen Identitätsmanagements muss zum Beispiel auch die Rolle von Europol gestärkt werden. Ein Problem bleibt aber: Wir verfügen für Syrer ohne Papiere nicht über Referenzdateien, mit denen wir überprüfen können, ob die Angaben der jeweiligen Person auch stimmen. Umso wichtiger ist ein funktionierender internationaler Informationsaustausch.

Es gibt Zweifel, ob die Düsseldorfer Terrorzelle wirklich einen Anschlag plante.

Münch Es war sehr ungewöhnlich, dass sich ein Mitglied der Gruppe den Behörden aus eigenem Antrieb offenbarte. Wir haben aber seinerzeit bereits kommuniziert, dass wir keinen Hinweis auf einen konkret geplanten Anschlag hatten. Ein solcher Plan konnte auch bis heute nicht nachgewiesen werden.

Ist die Terrorbedrohung größer als vor einem Jahr?

Münch Die Bedrohungslage ist seit Langem sehr hoch. Aber es ist deutlicher geworden, welche Doppelstrategie der sogenannte IS fährt. Einerseits setzt er darauf, mit seinem Netzwerk größere Anschläge mit komplexen Szenarien zu unterstützen. Dazu nutzt er auch seine Kontakte zu den Dschihadisten, die von Europa aus nach Syrien und in den Irak gereist sind. Gerade wenn diese nach Europa zurückkehren, bleiben sie in Kontakt und können als Terrorgruppe agieren und Anschläge wie in Paris oder Brüssel durchführen. Andererseits wirkt die IS-Propaganda und trägt zur Selbstradikalisierung von Einzeltätern bei. Die Aufforderung, Anschläge jeglicher Art zu begehen, ist deutlich intensiviert worden. Das hat auch in Deutschland gewirkt, wie wir in Ansbach und Würzburg erleben mussten. Der sogenannte IS propagiert und unterstützt solche Taten umso mehr, je stärker er selbst in seinen Kerngebieten unter Druck gerät.

Was haben Sie aus den Anschlägen gelernt?

Münch Ansbach und auch Würzburg zeigen, wie sehr es darauf ankommt, relevantes Personenpotential aus dem islamistischen Spektrum im Auge zu behalten. Der internationale Informationsaustausch ist dabei ein besonderer Schwerpunkt. Zudem geht es um die Propaganda der Terrorgruppen. Mit weiteren Staaten und Europol haben wir zuletzt in einer gemeinsamen Aktion 1600 islamistische Internet-Inhalte identifiziert und den Providern gemeldet. Wir haben so erreicht, dass zwei Drittel dieser Propaganda innerhalb von Tagen aus dem Netz genommen wurde.

Die Rund-um-die-Uhr-Überwachung der drei festgenommenen Terrorverdächtigen hat die Behörden schon hart an die Belastbarkeitsgrenze gebracht. Aber sie haben ja viel mehr Gefährder…

Münch Im Moment zählen wir 523. Davon hält sich derzeit nur knapp die Hälfte in Deutschland auf. Und davon wiederum sitzen etwa 80 in Justizvollzugsanstalten ein. Es bleiben also rund 180 Personen. Im Umgang mit diesen Gefährdern verfügen wir über ein abgestimmtes Maßnahmenkonzept. Bei der Risikobewertung potentieller Gewalttäter des islamistischen Spektrums haben wir uns jetzt mit den Ländern auf einheitliche Kriterien verständigt, damit wir unsere Ressourcen noch gezielter einsetzen können.

Terrorverdächtige kommunizieren über kryptierte Netzwerke wie WhatsApp. Da kommen Sie nicht rein, oder?

Münch Wir werden nicht sagen, was wir im Einzelfall können und was nicht. Aber klar ist: WhatsApp zu nutzen ist einfach, WhatsApp zu überwachen ist für uns eine besondere Herausforderung. Kryptierung ist zum Standard geworden. Deshalb müssen wir viel mehr in die Ressourcen und in die Methodik investieren, um dagegen gewappnet zu sein. Hier nachzuschärfen ist teuer und personalintensiv.

Brauchen Sie eine gesetzliche Grundlage, um Provider zu zwingen, im Verdachtsfall mit Ihnen zu kooperieren, auch wenn diese im Ausland sitzen?

Münch Es ist sicherlich sinnvoll, Anfragen direkt bei ausländischen Providern stellen zu dürfen statt über den Umweg über die Polizeien im Ausland. Allerdings gilt das Prinzip weltweit, dass ein Staat im Ausland eine private Stelle nicht zur Mitwirkung zwingen kann. Es würde uns im nationalen Recht schon helfen, wenn die Anbieter von Telemediendiensten genauso wie in der klassischen Telekommunikation verpflichtet wären, Bestandsdaten vorzuhalten und auskunftspflichtig zu sein.

Aber die Debatte über einen speziellen Zugang der Ermittlungsbehörden zur kryptierten Kommunikation und zu verschlüsselten Daten auf der Festplatte, also die so genannte Hintertüre, halte ich für wenig zielführend, denn diese könnte dann auch von anderen genutzt und missbraucht werden. Für uns wichtig sind aber die Instrumente der Quellen-TKÜ sowie der Online-Durchsuchung. Letztere, mit der kryptierte Daten auf dem Rechner eines Beschuldigten auswertbar werden, ist uns zur Gefahrenabwehr ausdrücklich erlaubt, nicht jedoch zur Strafverfolgung. Hier wünschte ich mir auch eine klare Regelung für den Bereich der Strafverfolgung. Der Staat muss eine schlagkräftige Strafverfolgung gewährleisten!

Wenn ich im Darknet eine Waffe bestelle, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich statt der Waffe Besuch vom BKA bekomme?

Münch Zunächst einmal ist die Chance sehr groß, dass Sie Geld bezahlen, ohne ein Ware zu erhalten, weil es auf diesem Feld sehr viele Betrüger gibt. Und auch wir haben unsere Methoden, die durchaus erfolgreich sind. Aktuell führen wir 85 Verfahren wegen Waffenhandels im Darknet. Sie müssten damit rechnen, dass das 86. dazukommt.

Sind wir machtlos gegen hochprofessionelle Einbrecherbanden?

Münch Wenn jemand bei einem Wohnungseinbruch in die Privatsphäre eines anderen eindringt, belastet das die Betroffenen sehr stark. Deshalb ist die Entwicklung in den letzten sechs Jahren mit einem Anstieg von über 40 Prozent in diesem Deliktsbereich alles andere als zufriedenstellend. Positiv ist allerdings, dass die Zahl der Einbruchsversuche ebenfalls um 40 Prozent gestiegen ist. Es werden also mehr Vorkehrungen getroffen, die wirken. Aber wir als Polizei können natürlich nicht die Lösung des Problems auf die Bürgerinnen und Bürger verlagern. Wohnungseinbrüche sind bei Kriminellen deshalb so begehrt, weil dort Schmuck und Technik zu finden sind, die sich leicht veräußern lassen. Deren Absatz und Hehlerei ist attraktiver geworden als noch vor einigen Jahren. Außerdem verzeichnen wir beim Anteil der Tatverdächtigen ausländischer Herkunft in den letzten Jahren einen Anstieg von 85 Prozent. Das sind nicht Zugewanderte, sondern Kriminelle innerhalb von ausländischen und internationalen Täterstrukturen. Zu deren Bekämpfung haben wir abgestufte Bekämpfungskonzepte auf nationaler und internationaler Ebene entwickelt.

Wie gehen Sie damit vor?

Münch Das fängt schon bei der Qualität der Tatortaufnahme und Spurensuche an, reicht über die Fähigkeit, Serien zu erkennen bis zu der Unterscheidung zwischen einzelnen Intensivtätern und solchen Kriminellen, die Teil internationaler Täter- oder Bandenstrukturen sind. Hier müssen wir mit größeren Ermittlungszusammenhängen ansetzen. Insofern sind wir dabei, die vorhandenen Bekämpfungskonzepte der Bundesländer zusammen zu führen. Es reicht im Übrigen aber nicht, einem Täter eine Vielzahl von Einbrüchen nachweisen zu können. Er muss letztendlich auch angemessen verurteilt werden. Ein Täter darf nicht das Gefühl haben, dass der Einbruch ohne Risiko ist und die Justiz nicht konsequent sanktioniert. Hier sollte man auch über eine Verschärfung der Strafandrohung nachdenken. An diesen Stellen müssen wir noch besser werden, das gilt auch für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit.

Wirkt das?

Münch Wir haben beispielsweise in der Kooperation mit georgischen Behörden eine Vielzahl von Tätern aus Georgien identifiziert. Aber wir können erst zufrieden sein, wenn wir die Fallzahlen im Bereich des Wohnungseinbruchs deutlich gesenkt haben. Dazu müssen wir national wie international unsere Erkenntnisquellen noch intensiver ausschöpfen. Denn nur wer die kriminellen Geschäftsmodelle versteht, kann sie auch stören und zerschlagen. Wenn wir beispielsweise erkennen, dass Täter gezielt nach Deutschland einreisen, hier einen Asylantrag stellen und die Aufenthaltszeit bis zur Entscheidung ihres Asylverfahrens nutzen, um Wohnungseinbrüche zu begehen, dann müssen wir an mehreren Stellen ansetzen, um dagegen vorzugehen: Asylverfahren verkürzen, mit Strafen abschrecken, Rückführungen beschleunigen, das Geschäft unattraktiv machen.

Früher verband man mit der "heißen Phase" eines Wahlkampfes nicht das, was wir jetzt erlebten: Dass Autos von Politikern brennen. Macht Ihnen das mit Blick auf 2017 Sorge?

Münch Ja. Wir sehen diese emotionale Stimmung, wir sehen die Hasspostings aus dem rechten Bereich, wir sehen die Reaktionen aus dem linken Spektrum. Schon 2015 hatten wir einen starken Anstieg der Straftaten im Bereich der politisch-motivierten Kriminalität rechts und links. Das schaukelt sich gegenseitig hoch. Gerade was Hasspostings angeht, setzen wir einen besonderen Bekämpfungsschwerpunkt, weil die Verrohung der Sprache vor der Tat erfolgt. Hier setzen wir mit gezielten Recherchen an, mit mehr Strafanzeigen, mehr Ermittlungen. Gerade mit Blick auf das Wahljahr beobachten wir den Aufschaukelungsprozess zwischen rechtem und linkem Spektrum mit Sorge.

War das Aufschaukeln in Bautzen ein Einzelfall?

Münch Noch kennen wir nicht alle Details über die Abläufe. Solche Auseinandersetzungen sind jedenfalls gravierend für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung.

Hat der Brexit Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa?

Münch Nicht zwangsläufig. Das kommt auch auf die Einzelheiten der weiteren Verhandlungen an. Die britischen Sicherheitsbehörden werden unsere Partner bleiben und ich gehe davon aus, dass wir in der Zusammenarbeit mit Großbritannien einen hohen Standard behalten. Allerdings muss sich die Sicherheitsarchitektur in Europa weiterentwickeln. Ob uns das dann auch in dem gewünschten Maße und der erforderlichen Schnelligkeit mit unseren britischen Partnern gelingt, vermag ich noch nicht zu beurteilen.

Gregor Mayntz führte das Interview

(may-)
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