Bundespräsident meldet sich zurück Horst Köhler regt höhere Benzinpreise an

München (RPO). Nach längerem Schweigen hat sich Bundespräsident Horst Köhler mit einem Interview wieder in die politische Debatte eingemischt. Unter anderem ging das deutsche Staatsoberhaupt mit der schwarz-gelben Koalition vor allem wegen ihrer Steuerpolitik hart ins Gericht. Für den Umweltschutz könnte sich Köhler auch höhere Preise für Benzin und Diesel vorstellen.

2011: Wie setzt sich der Benzinpreis zusammen?
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Foto: dapd

"Das Volk erwartet jetzt tatkräftiges Regieren. Daran gemessen waren die ersten Monate enttäuschend", sagte das Staatsoberhaupt in einem Interview des Nachrichtenmagazines "Focus". Er rief die Politik zu mehr Reformmut in Deutschland auf. "Es geht um einen neuen Aufbruch zu Reformpolitik", sagte das Staatsoberhaupt.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte Köhlers Aufforderung zu mehr Reformpolitik. "Wir nehmen diese Mahnungen für unsere Regierungsarbeit sehr ernst", wird der FDP-Chef in der "Welt am Sonntag" zitiert. Insbesondere dem Aufruf nach einer Entlastung der Mittelschicht will Westerwelle nachkommen. Zur Kritik Köhlers am Start der schwarz-gelben Bundesregierung und seinem Vorschlag einer internationalen Abgabe auf Finanztransaktionen äußerte sich der Vizekanzler nicht.

Köhler erklärte im "Focus", er sehe derzeit keinen Spielraum für massive Steuersenkungen. "Das wäre ein Vabanquespiel", wurde er zitiert. In einem Gesamtkonzept sei die Begünstigung von Forschung in Unternehmen sinnvoll, aber auch eine Entlastung der Mittelschicht. "Die wird ja immer wieder vergessen in der Diskussion", sagte er. "Diejenigen, die sich an die Regeln halten und Steuern zahlen, die müssen sich doch manchmal richtig verladen vorkommen. Ein junges Ehepaar mit zwei Kindern, das kommt gerade mal so hin. Für die Mittelschicht muss etwas geschehen."

Aus Umweltgründen über höhere Benzinpreise nachdenken

Zum Thema Umwelt forderte Köhler ein beschleunigtes Umstellen der deutschen Wirtschaft auf umweltverträgliches Wachstum. "Wir müssen jetzt den Paradigmenwechsel hin zu einer Wirtschaftsweise einleiten, die unser Planet verkraftet". "Für mich gibt es keinen Zweifel: Die Nation, die sich am schnellsten, am intelligentesten auf diese Situation einstellt, wird Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen."

Köhler sagte, dabei könnten auch höhere Benzinpreise helfen. "Wir sollten zum Beispiel darüber nachdenken, ob der Preis von Benzin nicht tendenziell höher als tendenziell niedriger sein sollte. Das Preissignal ist immer noch das stärkste Signal, damit Menschen ihr Verhalten ändern", sagte der Bundespräsident. Zu dem Einwand, dass unter höheren Benzinpreisen vor allem jene Menschen litten, die wenig Geld haben, sagte Köhler: "Sozialer Ausgleich dafür ließe sich mit staatlichen Mitteln organisieren. Das ist kein Problem, vor dem wir zurückschrecken sollten."

Die Deutschen bauten zwar die besten Autos. Aber ihm bereite Sorgen, dass die Volkswirtschaft in hohem Maße vom Auto abhänge. "Sechzig Prozent der gesamten Innovationen ranken ums Auto, sagte mir jemand aus der Branche stolz. Mich macht das eher nervös", sagte Köhler. "Wir müssen aufpassen, dass wir keine falschen Strukturen zementieren." Das Auto brauche Konkurrenz. "Wir müssen nicht nur entschlossen umweltfreundlichere Autos entwickeln. Wir müssen auch rechtzeitig über neue Mobilitätskonzepte nachdenken", sagte Köhler.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) widersprach der Forderung. Die Ökosteuer im Benzinpreis habe bis heute keinerlei Lenkungswirkung entfaltet, sagte Ramsauer der "Bild"-Zeitung. "Gefahren wird wie eh und je", soder Minister.

Der Sprecher des Autoclubs Europa (ACE), Rainer Hillgärtner, sagte dem Blatt: "Die Bemerkung könnte missverstanden werden und den Ölmultis als willkommene Rechtfertigung dienen, weiter Preiswucher zu betreiben."

Mäßigung in der Sozialstaatsdebatte

Eindringlich forderte das deutsche Staatsoberhaupt Mäßigung in der Diskussion über die Zukunft der Sozialsysteme. Es sei "nicht glücklich", wie über "Hartz IV" und die Zukunft des Sozialstaats debattiert werde, sagte Köhler. Man könne diese wichtigen Themen anders anpacken und so mehr erreichen. "Eine Sozialstaatsdiskussion, in der die einen immer nur an Umverteilung denken und die anderen die Arbeitslosen vor allem in der Hängematte sehen, hilft keinem weiter", sagte Köhler.

Zur Kritik an Außenminister Guido Westerwelle (FDP), dem eine zu enge Verquickung mit Unternehmen vorgeworfen wird, die als FDP-Spender aufgetreten sind, sagte der Bundespräsident: "Die Angriffe auf den Außenminister halte ich in dieser Frage für überzogen." Er fügte allerdings hinzu: "Mein Rat ist es, in Zweifelsfällen so zu handeln, dass schon der Anschein von Interessenkonflikten nicht auftaucht."

Mehr Geld für Bildung

Deutschland müsse auch mehr Geld für Bildung ausgeben. "Fast ein Drittel unserer gesamtwirtschaftlichen Leistung wenden wir auf für staatliche Sozialleistungen, aber nur gut sechs Prozent für Bildung", kritisierte Köhler. "Angesichts dieser Relation müssen wir uns eigentlich vor unseren Kindern schämen."

Bei der Ernennung der Regierung im Oktober habe er mit Bedacht gesagt: "Ihr habt eine ordentliche Mehrheit", erklärte der Bundespräsident. Das Gute sei aber, dass sich die Beteiligten selbst über die enttäuschende Politik klar seien. Inzwischen trete in der Koalition Realismus ein.

Kritik am Wachstumsbeschleunigungsgesetz

Eindringlich forderte er eine Lösung für das "Megaproblem Schulden". "Wir müssen weg von schuldengetriebenem Konsum. Davon wieder runterzukommen, ist schwer wie ein Drogenentzug, aber unumgänglich für nachhaltiges Wachstum, das allen Menschen dient."

Besonders kritisch sieht der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds das Konjunkturpakt oder Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Schon der Begriff habe ihn nachdenklich gemacht. "Als sei es der Staat, der für immer mehr, immer schnelleres Wachstum sorgen könne."

(apd/ddp/pst/felt)
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