CSU-Parteitag Horst Seehofer — das Bollwerk bekommt Risse

München · So viel Krach hat CSU-Chef Horst Seehofer (66) selten angezettelt, trotzdem –oder gerade deswegen – fuhr er bei seiner Wiederwahl sein bisher schlechtestes Ergebnis ein. Eine Analyse vom Parteitag der CSU in München.

Parteitag: Kühler Empfang für Angela Merkel bei der CSU
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Kühler Empfang für Angela Merkel bei der CSU

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Foto: afp, CS/dg

So viel Krach hat CSU-Chef Horst Seehofer (66) selten angezettelt, trotzdem —oder gerade deswegen — fuhr er bei seiner Wiederwahl sein bisher schlechtestes Ergebnis ein. Eine Analyse vom Parteitag der CSU in München.

Zu Jahresbeginn ein kränkelnder, von kraftzehrenden Belastungen als CSU-Chef und Ministerpräsident gezeichneter Horst Seehofer. Im Sommer der tatkräftig die bayerischen Interessen in der Flüchtlingskrise auf den Punkt bringende Landesvater. Im Herbst der scheppernde Kritiker des Merkel-Kurses. Wenn es vor allem um die Lautstärke ginge, mit der ein CSU-Chef als bayerischer Löwe zu brüllen pflegt, hätte der Bayern-Chef rechtzeitig zum Ende seines siebten Jahres im Doppelamt geräuschvoll die Kurve nach oben gekriegt. Doch seine Beliebtheit in der Partei auf den Stimmzetteln zeigte am Ende des Wahlaktes zum Parteivorsitz auf dem Parteitag in München steil nach unten: von 95,3 auf 87,2 Prozent. Das ist der schlechteste Wert aller fünf Seehofer-Wahlen.

Dabei hatte er sich in seiner 91 Minuten langen Rede um klare Ansagen zu allem bemüht, was den Christsozialen derzeit wichtig scheint. Und sogar seinen Frieden mit Markus Söder gemacht, der seinen nervösen Ehrgeiz, Seehofer endlich beerben zu können, kaum noch zügeln kann. Geschickt dankte Seehofer Söder für seine Arbeit als Finanzminister und löste den Großkonflikt der letzten Woche nach Söders Tweet "Paris ändert alles" elegant auf. "Ich mache Fehler, Markus Söder macht Fehler. Ich geb sie zu — manchmal. Markus Söder gibt sie zu — neuerdings. Und dann muss es auch wieder gut sein." Damit erntete Seehofer nach einer Dreiviertelstunde den größten Applaus.

Horst Seehofer – Merkels mächtiger Gegenspieler im Foto-Porträt
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Horst Seehofer - Merkels mächtiger Gegenspieler

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Foto: dpa/Sven Hoppe

Auch die Demütigung der Kanzlerin am Vorabend versuchte Seehofer einzufangen. Er hatte die mächtigste Frau der Welt wie ein Schulmädchen neben sich stehen lassen und dafür abgewatscht, dass sie der CSU in Sachen Obergrenze für Flüchtlinge nicht folge. Mit der Drohung, sie zu diesem Thema wiederzusehen, hatte er sie danach ohne Abschiedsapplaus sofort nach draußen geführt und nicht mal bis zum Auto begleitet. In früheren Jahren hatte er sie eingeladen, noch ein wenig mit den Delegierten zu feiern. Tags drauf versicherte er, dass Merkel eine "herausragende Arbeit" leiste: "Wir haben eine erstklassige Bundeskanzlerin", rief Seehofer mit dem Verweis, das sei keine neue Einschätzung von ihm.

Gleichwohl gab es über Nacht Geraune unter den Delegierten, ob denn dieser Affront in dieser Deutlichkeit wirklich nötig gewesen sei. Seehofer hätte es auch mit einer Zusammenbindung der schon angenäherten CDU- und CSU-Positionen versuchen können. Zu einem Parteitag der verpassten Chancen hatte jedoch auch Merkel beigetragen. Mit ein bisschen mehr Wärme, ein bisschen mehr persönlicher Empathie hätte sie die CSU-Delegierten gewinnen können.

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Sie hätte etwa nach dem Landrat von Passau fragen und ihm für den Einsatz der Helfer in seiner Region ein persönliches Dankeschön zurufen können. Oder sich auf Franz Josef Strauß bei der EU-Lösungsperspektive berufen können. Statt dessen griff sie zu Helmut Kohl, dankte den Bayern pauschal und war nach 22 Minuten schon fertig. Mancher empfand auch das als Affront.

In den Mittelpunkt seiner Rede stellte Seehofer das Bild vom "Bollwerk", das die CSU in der Parteienlandschaft, in der Flüchtlingspolitik und auch innerhalb der Union sein müsse. "Integration kann nur gelingen, wenn wir die Zuwanderung begrenzen." Freilich musste Seehofer die Bollwerk-Funktion auch deshalb betonen, weil er die Fliehkräfte wieder einzufangen hatte, die er selbst in Gang gesetzt hatte. Das eiskalte Abkanzeln der Kanzlerin hatte selbst in den eigenen Reihen die Rufe nach "Merkel raus" und "Merkel muss weg" neue Nahrung gegeben. Deswegen sein Bekenntnis zu Merkels Qualitäten.

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Foto: dpa/Peter Kneffel

Seehofers über Monate verschärfte Positionierung der CSU frontal gegen die CDU hatte die Erwartung auf eine bundesweite Ausdehnung der Christsozialen gesteigert. So stark, dass Seehofer auch diese Dynamik selbst stoppen und das "Gespenst" vertreiben musste: "Die Trennungsverluste wären größer als die Trennungsgewinne", sagte der den Delegierten in scharfem Ton. Stattdessen müsse die CSU "hineinwirken in die CDU". Dabei sprach Seehofer den in der ersten Reihe platzierten NRW-Landeschef Armin Laschet als stellvertretenden Bundesvorsitzenden direkt an — und berichtete nach dem kurzen Beifall, Laschet habe nicht geklatscht. "Er hat es als Bedrohung empfunden", meinte Seehofer, und schob nach: "War ein Scherz".

War es auch ein Scherz, dass Seehofer kurz danach "CDU und CSU als Stabilitätsanker" feierte? Nach all den verhängnisvollen Fehlern, die er der CDU-Chefin angekreidet hatte? War es ein Scherz, als Seehofer neben Landesbankdebakel, Affärenserie, Finanzkrise und Ukrainekonflikt auch Flüchtlingskrise und Terrorgefahr als "bewältigt" bezeichnete? Bestimmt war es ein Scherz, als Seehofer Edmund Stoiber mit nach Russland einlud unter der Bedingung, dass er nicht länger mit Putin rede, als er selbst? Aber war es auch ein Scherz, als er die CSU gleichzeitig als "Partei der Mitte" und "Partei des rechten Spektrums" kennzeichnete. War es ein Scherz, dass Seehofer sich festlegte, dass "wir keine Willkommenskultur betreiben" — nach den vielen Münchnern, die die Willkommensschilder geschwenkt hatten?

Mehrere Dutzend Delegierte konnten sich jedenfalls angesichts dieser Fragen nicht einmal entschließen, an der Wahl zum Vorsitzenden teilzunehmen. Die Zweifel an Seehofer sind also sogar noch größer, als es sich in Seehofers schlechtestem Wiederwahlergebnis abzeichnet.

(may-)
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