Horst Seehofer im Interview "Das Instrument Obergrenze bleibt"

München · CSU-Chef Horst Seehofer spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Ausstieg aus der Politik, die NRW-Wahlen und darüber, warum er an eine Renaissance von Schwarz-Gelb glaubt.

 Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Foto: dpa

Horst Seehofer ist bestens gelaunt, als er im NRW-Landtag ankommt. Gleich geht es zu einem Wahlkampfauftritt für CDU-Chef Armin Laschet. Laschet stellt sein Büro für das Interview zur Verfügung.

Herr Seehofer, Sie haben nordrhein-westfälisches Blut in den Adern?

Seehofer Ja, meine Mutter ist in Remscheid-Lennep geboren, da war ich als Kind dann natürlich auch öfter zu Besuch. Eine schöne Gegend.

Man sagt den Menschen eine gewisse Sturköpfigkeit nach.

Seehofer Oh ja, das passt. Sie hat damals den amerikanischen Soldaten eine eigene Wohnung für uns vier abgeschwatzt. Eine Nachbarin hat später mal meine Kindheit aufgeschrieben. Da war die Sturheit der Mutter der rote Faden.

Das erklärt einiges.

Seehofer Langsam. Meine Mutter war auch durchsetzungsfähig.

 Mit Seehofer (2.v.r.) sprachen Chefredakteur Michael Bröcker (2.v.l.) und die Leiterin des Berliner Büros, Eva Quadbeck in Armin Laschets (l.) Büro.

Mit Seehofer (2.v.r.) sprachen Chefredakteur Michael Bröcker (2.v.l.) und die Leiterin des Berliner Büros, Eva Quadbeck in Armin Laschets (l.) Büro.

Foto: Endermann

Die Pkw-Maut, ihr Prestigeprojekt, haben Sie jedenfalls nicht durchgesetzt.

Seehofer Das stimmt nicht. Sie ist beschlossen. Wir können nichts dafür, dass die EU sich für die rechtliche Prüfung so lange Zeit gelassen hat. Die Maut ist richtig.

Lassen wir das leidige Thema. Wie geht es Ihnen eigentlich?

Seehofer Gut.

Sagen das auch Ihre Ärzte?

Seehofer Ärzte sind Naturwissenschaftler. Die gehen nach Laborwerten, nach Ultraschall- und EKG-Untersuchungen. Die Ärzte, die mich schon nach meiner Herzmuskelentzündung 2002 behandelt haben, haben gesagt, dass ich unbesorgt weitermachen kann.

Und Ihre Frau?

Seehofer Sie war von Anfang an der Meinung, dass es gut wäre, wenn ich weitermache.

Weil Sie sonst zuhause Chaos verursachen?

Seehofer (lacht) Es würde sicher für die Lebensqualität meiner Frau einiges ändern, wenn ich plötzlich den ganzen Tag zuhause wäre..

Was war letztlich Ihr Hauptgrund, weiterzumachen?

Seehofer Ich habe Spaß an der Arbeit. Ich bin gesundheitlich fit und ich bin fest davon überzeugt, dass die Union bei der Bundestagswahl und die CSU 2018 mit mir an der Spitze bei der Landtagswahl gewinnen kann. Das ist entscheidend.

Würden Sie die volle Legislaturperiode Ministerpräsident bleiben?

Seehofer Es war 2013 ein Fehler zu sagen, dass ich 2018 nicht mehr antrete. Ich werde mich also künftig etwas vorsichtiger zu persönlichen Karriereplänen äußern. Wir werden sehen.

Kann man in Ihrer Position oder der der Kanzlerin überhaupt einen geordneten Ausstieg hinbekommen, oder wird man vom Hof gejagt?

Seehofer In der Geschichte haben es doch einige hinbekommen, denken Sie an Hans-Dietrich Genscher. Oder denken Sie an Papst Benedikt.

Haben Sie bei Ihrem Besuch im Vatikan mit ihm darüber geredet?

Seehofer Nein. Da war ich noch nicht entschieden und ich wollte die Antwort vermeiden: "Machen Sie es so wie ich."

Sie wollen irgendwann aus freien Stücken gehen.

Seehofer Ich möchte den Zeitpunkt meines Ausstiegs selbst wählen.

Was hat Bayern, was NRW nicht hat?

Seehofer Wir haben beide eine fleißige, leistungsstarke Bevölkerung, in der Wirtschaft und in der Arbeitnehmerschaft. Bayern war mal ein armes Land...

...und musste von NRW mit Millionen aufgepäppelt werden.

Seehofer Ja, aber was wir in den ersten 40 Jahren des Länderfinanzausgleichs insgesamt bekommen haben, zahlen wir heute in ein, zwei Jahren ein. Wir machen in Bayern eine solide Wirtschaftspolitik, eine exzellente Bildungspolitik und sind in der Innenpolitik konsequent und wir haben solide Finanzen. Länder mit soliden Finanzen haben eine stärkere Wirtschaft. All das ist doch in NRW anders. Es kommt darauf an, wer regiert. In NRW muss ein Regierungswechsel her. Armin Laschet wird das Land als Ministerpräsident wieder nach vorne bringen.

Herr Laschet behauptet, die Kölner Silvesternacht wäre so in München nicht passiert.

Seehofer Das stimmt. Die Sicherheit der Bevölkerung ist das höchste Gut. Bei uns gilt null Toleranz gegenüber Kriminellen und Chaoten und wir setzen auf eine hohe Polizeipräsenz. Nehmen Sie den G7-Gipfel in München. Es ging keine einzige Scheibe zu Bruch. Wir hatten drei Polizisten für einen Demonstranten. Darüber haben sich einige Demonstranten beschwert. Aber sie hätten ja in stärkerer Zahl kommen können.

Klingt fast nach Polizeistaat.

Seehofer Die Sicherheit der Bevölkerung ist die wichtigste staatliche Aufgabe. Umso schlimmer ist es, was sich hier in NRW SPD-Innenminister Jäger leistet. Pannen und Peinlichkeiten, aber Schuld sind immer andere. Wir brauchen überall in Deutschland ausreichend Polizei, eine gute Ausstattung der Sicherheitskräfte, aber auch die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen.

Muss man nachbessern?

Seehofer Ja. Ein Beispiel: Beim Wohnungseinbruch muss es eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geben. Das ist in der Koalition in Berlin beschlossen, aber der Justizminister hat es leider nicht eilig mit dem Gesetz. Wir müssen der Polizei bei einem Einbruch auch erlauben, vorübergehend auf die Kommunikationsdaten im Umfeld des Einbruchsorts zuzugreifen. Das ist heute nur bei einem bandenmäßigen Einbruch möglich, aber das lässt sich schwer beweisen. Täter sind oft nicht alleine, erkunden die Gegend vorher und sprechen sich ab. Der Einbruch ist für mich nach dem Angriff auf Leib und Leben das schlimmste Verbrechen. Hier wird die Intimsphäre der Menschen angegriffen.

Tausende Flüchtlinge sind wieder auf der Mittelmeer-Route unterwegs. Eine neue Flüchtlingsbewegung?

Seehofer Das Thema Zuwanderung bleibt. Deshalb brauchen wir eine belastbare Antwort für die Zukunft. Fachleute schätzen, dass bis zum Jahr 2030 weitere 20 Millionen Zuwanderer nach Europa kommen wollen.

Jetzt ist es wieder akut . . .

Seehofer Das ist ein frühes Signal dafür, was noch kommt. Deshalb brauchen wir ein Konzept. An erster Stelle steht für die CSU die Bekämpfung der Fluchtursachen, worum sich die Bundesregierung ja intensiv bemüht. An zweiter Stelle kommt die europäische Lösung zur Begrenzung der Zuwanderung.

Wie soll die konkret funktionieren?

Seehofer Italien und Griechenland allein können nicht für Europa das Problem lösen. Sie brauchen mehr logistische und finanzielle Hilfe von der EU für die Asylverfahren vor Ort und die Versorgung der Flüchtlinge.

Eine EU-Mission in Italien?

Seehofer Ja, ein kraftvolles EU-Engagement muss kommen. Wir müssen die Außengrenze gemeinsam schützen, das Durchwinken der Flüchtlinge darf es nicht mehr geben. Deshalb müssen auch die Grenzkontrollen, etwa an der deutsch-österreichischen oder deutsch-schweizerischen Grenze bleiben. Der Brenner müsste notfalls dicht gemacht werden. Die Situation von 2015 will keiner mehr.

In der Flüchtlingspolitik war die Auseinandersetzung zwischen Ihnen und der Bundeskanzlerin hart und verletzend. Haben Sie der Union geschadet?

Seehofer Ich weiß nicht, woraus Sie das schließen. Angela Merkel und ich sind auch in der heißen Phase der Auseinandersetzungen vernünftig und professionell miteinander umgegangen, auch wenn uns das niemand glauben will. Ich kann aber meine Überzeugungen nicht verhehlen.

Sie haben bei jeder Gelegenheit die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin öffentlich angegriffen.

Seehofer Ich habe an meiner Meinung festgehalten. Vieles von dem, was ich gefordert habe, ist ja inzwischen auch umgesetzt worden.

Der Soldat, der sich als syrischer Flüchtling tarnen konnte. Ist das ein Ergebnis der Herrschaft des Unrechts, wie Sie die Lage mal beschrieben haben?

Seehofer Na jedenfalls beschreibt das den Kontrollverlust, den wir zeitweise in diesem Land zugelassen haben. Ein deutscher Asylbewerber? Wer soll mir das noch erklären? Es ist genauso irre, dass Hunderttausende Flüchtlinge ein Formblatt ausfüllen konnten und schon waren sie anerkannte Asylbewerber. Wir müssen alleine aus Sicherheitsgründen bei den anerkannten Asylbewerbern, deren Identität nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, noch mal genau hinschauen.

Das kann Monate dauern.

Seehofer Das muss uns die Sicherheit wert sein. Das ist kein Generalverdacht, sondern sollte eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat sein.

Machen Sie als CSU-Chef auch deshalb weiter, weil sie für eine nächste Koalition der Garant sein wollen, dass es eine Obergrenze gibt?

Seehofer Meine Zuwanderungspolitik hat drei Elemente: Humanität - wer zu uns kommt, muss anständig behandelt werden. Integration - sonst spaltet sich die Gesellschaft. Und die Begrenzung, damit Integration möglich ist. Alle drei Dinge werden wir mit der CDU besprechen und dann werden wir sehen, was wir für das gemeinsame Wahlprogramm vereinbaren können.

Sprechen Sie bewusst von einer Begrenzung, um dem Streit um die Obergrenze die Schärfe zu nehmen?

Seehofer Die Obergrenze ist der Unterfall einer Begrenzung. Ein weiterer Unterfall ist die Bekämpfung der Fluchtursachen. Das Instrument Obergrenze bleibt. Wir werden der Bundeskanzlerin dabei helfen, dass sie ihr Wort halten kann und sich die Situation von 2015 nicht wiederholt.

Mit welcher innenpolitischen Forderung wollen Sie in den Wahlkampf ziehen?

Seehofer Jobs, Jobs, Jobs sind das Thema Nummer eins. Aus meiner Kindheit weiß ich, wie es ist, wenn der Vater arbeitslos ist. Alles andere wird nachrangig, wenn der Vater oder die Mutter arbeitslos sind.. Als zweites nenne ich Sicherheit sowie Zuwanderung und Integration. Dann folgen für mich die Digitalisierung und eine massive Steuersenkung, die eine Abschaffung des Soli beinhaltet. Die Abschaffung des Soli wollen wir im gemeinsamen Wahlprogramm mit der CDU verankern.

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat einen Spielraum für Steuersenkungen im Haushalt von 15 Milliarden Euro genannt. Ist das auch für Sie die Grenze?

Seehofer Es geht da um eine Senkung der Einkommensteuer. Beim Soli stellt sich die Frage, in welchem Zeitraum wir ihn abschaffen. Ich würde das gerne bis 2025 schaffen.

Muss auch eine neue große Rentenreform angegangen werden?

Seehofer Wir brauchen eine neue Rentenkommission aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Wissenschaftlerin und Politikern. Seit der Regierung Schröder gilt ja, dass das Rentenniveau sinkt, der Staat aber dafür private Vorsorge fördert. Aber nur rund zehn Millionen Menschen sorgen privat vor. Das ist zu wenig. Daher muss sich die Politik diesem Themas zuwenden, damit es nicht zu Altersarmut in großem Ausmaß kommt.

Was ist zu tun?

Seehofer Der Staat muss die private Vorsorge deutlich besser fördern als das heute der Fall ist. Ich bin auch dafür, dass wir die Rente im Wahlkampf thematisieren. Wir dürfen nicht vor lauter Angst, dass die Menschen das Thema Altersarmut verunsichern könnte, das Thema einfach weglassen.

Halten Sie im Herbst 2017 Schwarz-Gelb für möglich?

Seehofer Die Union ist in einem Steigflug. In NRW auch. Wenn wir in NRW gewinnen, gibt das einen wahnsinnigen Rückenwind für eine bürgerliche Koalition auf Bundesebene.

Die letzte schwarz-gelbe Koalition haben wir als Austausch von "Wildsau" und "Gurkentruppe" in Erinnerung .

Seehofer Das ist doch längst Geschichte. Eine große Koalition sollte nicht der Normalfall sein. Demokratie braucht eine starke Regierung und eine starke Opposition. Für Deutschland wäre es gut, wenn es eine kleine Koalition aus Union und FDP gäbe. Dafür muss die Union aber näher bei 40 als bei 30 Prozent liegen. Daran arbeiten wir mit aller Kraft.

(qua / brö)
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