Prestige-Projekte der CSU krachen zusammen Was ist bloß mit den Bayern los?

Berlin · Die Prestige-Projekte der CSU krachen in sich zusammen. Das lässt die sonst kraftstrotzenden Christsozialen dünnhäutig werden und legt sich als lähmende Unberechenbarkeit auf die Arbeit der großen Koalition. Jüngstes Symptom der Krise: ein Wutausbruch nach einer Stichelei aus Niedersachsen.

Horst Seehofer und CSU: Was ist bloß mit den Bayern los?
Foto: dpa, tha tmk

Über viele Wochen hatte CSU-Chef Horst Seehofer keine Lust, zu einem Koalitionsausschuss in großer Runde nach Berlin zu reisen. Nachdem das letzte Treffen in schlechter Stimmung und ohne Ergebnis geendet war, wollte er sich erst wieder medienwirksam mit den anderen Spitzen der Koalition zusammensetzen, wenn klar wäre, dass man inhaltlich zueinanderkommt. Immer intensiver laufen im Windschatten der Griechenland-Krise die Vorgespräche, um gesichtswahrende Kompromisse in Sachen Energiewende und Stromtrassenführung auszuloten.

Eine der Schlüsselfiguren ist Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), als vormaliger Umweltminister tief in der Materie drin. Nun traut sich die Koalition, die Kuh vom Eis zu holen: Am 1. Juli soll nach Informationen unserer Redaktion der nächste Koalitionsausschuss tagen und zu Grundsatzentscheidungen kommen. Gerade rechtzeitig, um die Experten über die Sommerpause die Details ausarbeiten zu lassen und im Frühherbst dann die Gesetzgebung starten zu können.

Die CSU ist angeschlagen

Es gibt viele dringende Themen in der großen Koalition, für die eine Einigung her muss: neben der Energiewende etwa der Mindestlohn, die Bund-Länder-Finanzen und die Lagerung von Atommüll. Es bewegt sich aber wenig. Auch die Schwäche der CSU trägt zum Stillstand bei. Über Jahrzehnte gehörte es zum politischen Stil der Republik, dass Kompromisse zwischen der CSU und den anderen Koalitionspartnern in Berlin mit Theaterdonner, verbalen Rempeleien und kleinen Erpressungen ausgehandelt wurden. Die Bayern setzten stets viel durch und mussten im Gegenzug Spott ertragen.

Doch in dieser großen Koalition zeigt sich eine neue Gefechtslage. Die CSU ist angeschlagen. Das von ihr in der vergangenen Wahlperiode als Prestige-Projekt durchgesetzte Betreuungsgeld ist vor dem Bundesverfassungsgericht gelandet. Die Einlassungen der Richter bei einer mündlichen Erörterung verheißen aus CSU-Sicht nichts Gutes: Karlsruhe scheint geneigt, das Betreuungsgeld in der beschlossenen Form zu kippen. Das CSU-Prestige-Projekt dieser Wahlperiode, die Pkw-Maut, wird vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Ausgang ungewiss. Das Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission in Sachen Pkw-Maut gegen Deutschland eingeleitet hat, wird voraussichtlich eine Einführung der umstrittenen Abgabe in dieser Wahlperiode verhindern. So könnte die CSU im Wahlkampf 2017 ohne Maut und ohne Betreuungsgeld dastehen.

Beide Themen treffen die CSU empfindlich. Während die bayerischen Politiker in Berlin Auseinandersetzungen in der Koalition normalerweise sportlich nehmen, erlebt man in diesen Tagen eher dünnhäutige CSU-Abgeordnete.

Aigner giftet gegen Niedersachsen

Im Streit um die Energiewende und den Mindestlohn wird inzwischen mit harten Bandagen gekämpft. So provozierte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) die Bayern mit einer Zeitungsanzeige, in der er die bayerischen Unternehmen aufforderte, nach Niedersachsen zu kommen. Mit einem Seitenhieb auf den Streit über den Verlauf der geplanten Stromtrassen schrieb der Minister: "Auch bayerische Unternehmen brauchen Strom! Ziehen Sie direkt an die Quelle, ins Land mit Energie: nach Niedersachsen." CSU-Chef Horst Seehofer reagierte gereizt. "Da wird von solchen Ländern für einen solchen Pipifax noch viel Geld ausgegeben", schimpfte er und verwies auch darauf, dass Niedersachsen von dem aus Bayern gespeisten Länderfinanzausgleich profitiere.

"Schlechter Stil, wenn nicht Unverschämtheit", giftete auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Das sei doch ein "hilfloses Unterfangen" der Niedersachsen. "Besonders aus dem Norden" seien schließlich viele Menschen nach Bayern gezogen, weil es im Freistaat beste Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gebe. Die niedersächsische Landesregierung könne von der bayerischen einiges lernen - "auch was den politischen Stil betrifft", so Aigner.

Seehofer bemüht sich um Stabilität

Allerdings: Die Bayern sind trotz der großen Koalition im Bund im Umgang mit der SPD auch nicht zimperlich. So ließen sie über Wochen eine Kampagne gegen den Mindestlohn laufen. Auf den Plakaten prangerten sie die überbordende Bürokratie an. Eine Biergartenbedienung ließ die CSU erklären: "Ich kümmere mich gerne um meine Gäste und will sie gut bewirten - stattdessen muss ich jetzt wegen der SPD Zettel ausfüllen". Daneben stand der CSU-Kommentar dazu: "Geht gar nicht."

Das klang nach Wahlkampf gegen den politischen Gegner, und zwar mitten in der gemeinsamen Regierungsperiode. Gewöhnlich plakatieren Parteien, wo sie sich durchgesetzt haben, hier versuchte die CSU damit zu punkten, dass sie sich mit ihrem Nein zur Bürokratie ganz offenkundig gegen die SPD (noch) nicht durchsetzen konnte. So schwant den beiden anderen Koalitionären, dass ein Partner, der weder mit seinem Berliner Personal noch mit seinen Themen glänzt, immer weniger berechenbar wird. Auch in der Wildbahn ist ein satter, gesunder Löwe umgänglicher als ein hungriger und verletzter.

Allerdings begradigt Seehofer bei zurückliegenden Unberechenbarkeiten gerade die Linie: Im Europawahlkampf die Anti-Euro-Karte zu spielen und den scharfen Euro-Kritiker Peter Gauweiler als Parteivize in den Vordergrund zu schieben, ist der CSU schlecht bekommen. Nun setzt Seehofer auf das Gegenteil: Für Gauweiler und den anderen Euro-Skeptiker Peter Ramsauer sollen die führenden EU-Politiker Manfred Weber und Angelika Niebler neue Vizes werden. Damit will Seehofer erkennbar stabilisieren. Doch nun wird spekuliert, was diese Personalien für den Machtkampf um die Seehofer-Nachfolge bedeuten. Diese größte Ungewissheit wird an der CSU immer mehr nagen.

(may-, qua)
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