Identitäre Bewegung Sind die gefährlich?

Nürnberg · Die Identitären warnen mit drastischen Aktionen vor der vermeintlichen Islamisierung und sehen sich doch bloß als junge Patrioten. Zurecht? Eine Begegnung mit dem Vorsitzenden der rechten Jugendbewegung.

 Wo früher eine innerdeutsche Grenze verlief, forderten die Identitären Ende August "Sichere Grenzen - sichere Zukunft". Doch die Aktivisten sagen, sie hätten das Brandenburger Tor aus einem anderen Grund gewählt.

Wo früher eine innerdeutsche Grenze verlief, forderten die Identitären Ende August "Sichere Grenzen - sichere Zukunft". Doch die Aktivisten sagen, sie hätten das Brandenburger Tor aus einem anderen Grund gewählt.

Foto: dpa

Deutschland wäre für Nils Altmieks ein besserer Ort, wenn es so aussähe wie auf seinem Abiturfoto. In Abendkleidern und Anzügen stehen dort die Beckers, Frischemeiers und Krawinkels auf den Treppenstufen vor dem katholischen Gymnasium in Ostwestfalen. Einer heißt mit Nachnamen Radhsabov, eine andere Alexandrow, zwei haben sogar eine dunklere Hautfarbe. Aber sie fallen nicht sofort ins Auge. Damit kann Altmieks leben.

Doch schon damals im Jahr 2007 hatte Altmieks nicht das Gefühl, dass Deutschland so aussieht wie auf seinem Abiturfoto. In seiner Heimatgemeinde, dort ja, aber schon in Paderborn kam er durch Straßen und Viertel, in denen muslimische Migranten in der Mehrzahl waren. Und Deutschland heute? "Der massive Zustrom von fremdkultureller Bevölkerung ist dazu geeignet, die Identität des Volkes maßgeblich zu verändern", sagt er. "Wir sind die letzte Generation, die in der Lage ist, das zu verhindern."

Sie Nazis zu nennen, wäre zu einfach

Nils Altmieks ist der Vorsitzende der Identitären Bewegung Deutschland. Die machte zuletzt Ende August auf sich aufmerksam, als Aktivisten aufs Brandenburger Tor kletterten und ein Banner mit dem Spruch "Sichere Grenzen, sichere Zukunft" entrollten.

Nils Altmieks ist der Vorsitzende der Identitären Bewegung in Deutschland.

Nils Altmieks ist der Vorsitzende der Identitären Bewegung in Deutschland.

Foto: Sebastian Dalkowski

So wie es Altmieks mindestens zweimal gibt, so gibt es auch die Identitäre Bewegung mindestens zweimal. In ihren Augen sind sie junge Patrioten, die sich dafür einsetzen, dass Deutschland Deutschland bleibt. "Wir stehen für einen authentischen und gesunden Patriotismus, der sich nicht für totalitäre, chauvinistische, rassistische oder extremistische Ideologien instrumentalisieren lässt", schreiben sie auf ihrer Webseite. Für ihre Kritiker sind sie im schlimmsten Fall rechtsradikal. "Wir sehen bei der 'Identitären Bewegung‘ Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung", sagt Hans-Georg Maaßen, Chef des Verfassungsschutzes, der die Identitären beobachtet. "So werden Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten in extremistischer Weise diffamiert."

Wie radikal also sind die Identitären? Wie gefährlich? Wer es sich leicht machen möchte, der bezeichnet sie einfach als "Nazis" oder "Rassisten" — aber erstens haben diese Begriffe aufgrund inflationären Gebrauchs mittlerweile an Bedeutung eingebüßt. Zweitens ist das nur der bequeme Weg, um sich nicht mit ihnen auseinandersetzen zu müssen. Auch die "Identitäre Bewegung" hat einen Anspruch darauf, dass man sich sachlich mit ihr auseinandersetzt — ohne ihr auf den Leim zu gehen. Wer nun also wissen will, wo die Identitären stehen, der muss genau zuhören. Nils Altmieks zum Beispiel.

Immer wieder Diskussionen mit dem Politiklehrer

Altmieks könnte ein ruhiges Leben als Bauingenieur führen. Er wird in den nächsten Tagen 30, Vater wird er auch, und der kleine Ort nördlich von Nürnberg, in den er vor zwei Jahren gezogen ist, lässt jeden Unbill vergessen, der sich auf der Welt zuträgt. Altmieks ist niemand, der auf der Straße auffällt, trägt Jeans und Freizeithemden. Die kurzen braunen Haare hat er zur Seite gekämmt. Doch ihn treibt die Sorge um, die ihn schon sein halbes Leben umtreibt. Dass Deutschland bald nicht mehr sein Deutschland ist. Auf der Akustikgitarre, die in seiner Wohnung steht, klebt ein Aufkleber mit dem Slogan "Wehr dich, es ist dein Land".

Altmieks wächst in einer Gemeinde im Teutoburger Wald auf. Keine 10.000 Einwohner, ein Idyll, eine behütete Kindheit. Katholischer Kindergarten, katholische Grundschule, katholisches Gymnasium. Die Mutter Kauffrau, der Vater Beamter. Tagelang wandert er durch die Wälder. Als Teenager beginnt er, sich für Politik zu interessieren. Im Unterricht nehmen sie Kant durch, kategorischer Imperativ, und auch Altmieks macht sich auf die Suche nach politischen Prinzipien. Er sagt, die Frage, wo relative Freiheit und relative Selbstbestimmung am größten sind, treibt ihn bis heute an.

Immer wieder gerät er in der Oberstufe mit seinem Politiklehrer aneinander. Altmieks findet, dass die Meinungsfreiheit in Deutschland bei Kundgebungen eingeschränkt wird, nicht wie im Dritten Reich oder in der DDR, aber trotzdem. Er findet auch, man solle eine Deutschlandfahne im Klassenzimmer fordern dürfen, ohne dass die Leute Angst haben müssen, dass dort übermorgen eine mit Hakenkreuz hängt. Und er hat den Eindruck, dass viele Leute zwar, wenn sie unter sich sind, die Zuwanderung kritisieren, darüber aber sonst nicht offen sprechen. Aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Altmieks beantwortet die Frage, wie sich Massenzuwanderung auswirkt, sehr früh: negativ. Auch wenn er selbst nie negative Erfahrungen mit Migranten gemacht hat. Er fragt sich, warum es darüber keine Debatte in der Öffentlichkeit gebe, obwohl es doch so viele beschäftige. Warum alles, was einen positiven Bezug zum eigenen Land hat, in den Medien außen vor bleibe.

Abendland vs. Morgenland

Er will sich politisch engagieren, besucht Veranstaltungen der CDU und der NPD. Die NPD ist ihm dann doch zu rechts, die CDU erscheint ihm zu links. Begründung: Von ihr ist nicht zu erwarten, dass sie die Zuwanderung einschränkt. Er wählt damals so ziemlich alles, die Grünen und die Linke allerdings nie. Ob er auch NPD gewählt hat, möchte er nicht sagen. In der Schule widersprechen ihm die wenigsten, nur ein paar Mitschüler nennen ihn "Nazi".

Eine politische Gruppe, die zu ihm passt, findet er erst 2013. Die "Identitäre Bewegung" kommt aus Frankreich und gehört zur so genannten Neuen Rechten. Diese berufen sich nicht auf den Nationalsozialismus, sondern auf konservative Denker aus der Weimarer Republik. Pluralismus, Liberalismus und die Idee von der Gleichheit aller Menschen lehnen sie ab. Die Jugendorganisation "Generation Identitaire" tritt 2012 erstmals in Erscheinung, als ihre Mitglieder eine Moschee in Poitiers besetzen. Ihr Erkennungszeichen ist der griechische Buchstabe Lambda. Der war auf den Schilden der Spartaner angebracht, als sie 480 vor Christus gegen die Perser kämpften, ein früher Krieg zwischen Abendland und Morgenland, so sehen es die Identitären.

2012 entstehen auch in Deutschland die ersten Gruppen der Identitären. Altmieks schließt sich ihnen an, schafft eine Struktur, lässt die Identitären auch als Verein eintragen. So sind sie geschäftsfähig, können Mitgliedsbeiträge nehmen. Altmieks wird zum Vorsitzenden gewählt. 400 Aktive hat die Organisation heute in Deutschland. Altmieks selbst tritt dabei selten öffentlich in Erscheinung. Das Reden und Schreiben überlässt er meist anderen. Selbst wenn er auf einer Demo spricht, klingt das eher, als würde er ein Referat vortragen. Im Gespräch wird er nie laut, fällt seinem Gegenüber nicht in Wort, drückt sich gewählt aus.

Sie spielen auf die Unterdrückung in der DDR an

Bei den Identitären sind Studenten und Akademiker in der Mehrheit. "Wir haben nicht den Anspruch, eine Massenbewegung zu werden", sagt Altmieks. "Das Hauptziel ist es, das öffentliche Bewusstsein wieder offener für patriotische Agitation zu machen." Es gebe eine große Diskrepanz zwischen dem Meinungsbild in der Bevölkerung und der veröffentlichten Meinung. "Das verträgt sich nicht mit meiner Auffassung von Freiheit und Demokratie." Er schätzt, die "patriotisch orientierten Menschen" machten etwa die Hälfte der Bevölkerung aus.

Zielgruppe der Identitären sind vor allem Leute mit akademischen Titeln, die gesellschaftlich wirken. Auf die AfD wirken sie schon mal. Zwar hat der Parteivorstand eine Zusammenarbeit abgelehnt, aber die "Patriotische Plattform", zu der sich rechtskonservative AfD-Mitglieder zusammengeschlossen haben, wünscht sich ein engeres Zusammengehen. Zu der gehört auch Björn Höcke, Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.

Die meisten Identitären sind Männer. Altmieks führt das auf ihre Straßenaktionen zurück. Auf Demos tritt ihnen regelmäßig die Antifa entgegen, bewirft sie mit Flaschen, sagt er. Die Identitären sprechen vor allem junge Leute an, ihre Videos posten sie bei Youtube und Facebook, dort haben sie 37.000 Follower. Im Juni 2015 kletterten sie auf Balkone der SPD-Kreiszentrale in Hamburg und der Bundeszentrale in Berlin. Kürzlich sperrten sie den Redaktionseingang der Hamburger Morgenpost mit Flatterband, mit dem Hinweis, das "Lügengebäude" sei einsturzgefährdet. Am 17. Juni, dem Jahrestag des Aufstandes in der DDR, zogen sie durch Berlin. Das Datum war kein Zufall. Die Aktion auf dem Brandenburger Tor ist ihr bisher größter Coup. Altmieks findet es nicht geschmacklos, ausgerechnet an einer ehemals innerdeutschen Grenze sichere Grenzen zu fordern. "Wir haben das Brandenburger Tor gewählt, weil es das nationale Monument ist. Dass einige nun eine Verbindung zur DDR ziehen, überrascht uns zwar nicht, wir halten es aber für weit hergeholt, wenn man behauptet, wir hätten es aus diesem Grund gewählt."

Rassismus ohne Rassen?

Altmieks betont die Gewaltfreiheit ihrer Aktionen. Widerstand gegen die Staatsgewalt würden sie nie leisten. Aber Protest müsse möglich sein. "Es könnte auch sein, dass das bestehende Recht so weit verändert wird, dass es nicht mehr mit meinem moralischen Recht vereinbar ist. Dann werden wir unseren Protest trotzdem durchziehen." Seine erste Anstellung als Bauingenieur hat er aus politischen Gründen verloren, sagt er. Dass der Vertrag nicht verlängert wurde, habe der Chef mit Altmieks' Engagement für die Identitären begründet.

Dass Identitäre so häufig als Rassisten bezeichnet werden, hat vor allem mit der Weltanschauung zu tun, die sie propagieren: den Ethnopluralismus. Den begreifen Identitäre als Mittel, um die Vielfalt der Völker und deren kollektive Identität zu erhalten. Um das zu garantieren, sollten die Völker möglichst dort bleiben, wo sie historisch beheimatet sind. Kritiker sagen, das sei ein Rassismus ohne Rassen, stattdessen heiße es einfach "Ethnie". Auch der Verfassungsschutz ist alarmiert. (siehe Infokasten)

Ethnopluralismus ließe sich durchaus auch so beschreiben: Wir haben nichts gegen Ausländer, solange sie im Ausland bleiben. Altmieks sagt: "Wir achten jede Kultur und jedes Volk und stellen keine Hierarchie auf. Rassismus fängt dort an, wo man Vorbehalte hat, nur weil jemand einer bestimmten Kultur oder Ethnie angehört." Er sagt auch: "Wir schließen Migration nicht aus, setzen das Maß, in dem Migration verträglich ist, aber sicherlich niedrig an."

Auch wenn sich die Identitären in ihren Aktionen auf Migration aus muslimischen Ländern konzentrieren, so ist ihre Skepsis gegenüber Zuwanderung und die Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft doch grundsätzlich. Für Altmieks ist Migration nur unproblematisch, "wenn die kollektive Identität der Deutschen nicht beeinflusst wird." Diese Identität dürfe sich zwar verändern, aber nur aufgrund der Erfahrungen der zurückliegenden Generationen, nicht durch den Zuzug von Fremden. Das könne auch passieren, wenn alle Migranten Schweden mit tadellosem Führungszeugnis wären. "Es wird schwierig, sobald Migration in meinen Alltag vorrückt", sagt Altmieks. Wie genau diese kollektive Identität aussieht, die sie da verteidigen, kann Altmieks nicht so genau sagen. "Das, was selbstverständlich ist."

Sie glauben, dass die Bevölkerung ausgetauscht wird

Doch wenn es darum geht, wer sich am besten in Deutschland integrieren kann, dann stellen die Identitären eben doch Hierarchien auf. Je größer die kulturellen Unterschiede, desto schwieriger die Integration. Bei Zuwanderern aus muslimischen Ländern halten sie diese Unterschiede für besonders groß. "Die Achtung gegenüber Frauen und Kindern ist unter Moslems im Durchschnitt sicher geringer als bei den meisten Europäern", sagt Altmieks, "ich will das aber nicht verabsolutieren." Er sagt auch: "Wenn eine Ethnie einwandert, die grundsätzlich andere Wertevorstellungen hat, dann verändert das eine Gesellschaft." Wenn Muslime in Massen einwanderten und nicht als Individuen, dann gebe es keinen Assimilationsdruck. Dann fingen sie an, Forderungen zu stellen. Und wenn ihr Anteil immer größer werde, würden diese Forderungen irgendwann umgesetzt. "Dann könnte es vielleicht auch irgendwann eine Kopftuchpflicht geben." Identitäre sehen in Zuwanderung vorrangig eine Gefahr fürs Eigene und zwischen den Kulturen vor allem die Unterschiede.

Die Identitären halten sich für die letzte Generation, die sich gegen den Verlust der deutschen Identität stemmen kann. Denn sie vermuten, dass etwas im Gange ist, das sie den "großen Austausch" nennen. Der besagt, dass die alteingesessene deutsche Bevölkerung immer weniger wird, während die Zahl der Migranten immer weiter zunimmt, auch durch eine höhere Geburtenrate, bis sie schließlich in der Mehrheit sind. "Die Politik befördert das, obwohl sie verpflichtet wäre, das zu verhindern", sagt Altmieks und verweist auf die Gesetzeslage: Eigentlich habe niemand Recht auf Asyl in Deutschland, wenn er nicht gerade an der deutschen Küste anlande. Denn nach der Dublin-II-Verordnung müsste eigentlich jeder Flüchtling im ersten EU-Land Asyl beantragen, das er betritt. Was Altmieks dabei aber auslässt: Deutschland hat nach "Dublin" ein Selbsteintrittsrecht, darf sich also um Flüchtlinge kümmern, die eigentlich in einem anderen EU-Land Asyl beantragen müssten.

Für ihn hat dieser große Austausch bereits mit den Gastarbeitern in den 50ern begonnen und dauert bis heute fort. Er hält es für naheliegend, dass da mehrere Interessen zusammenkommen, auch wenn er einräumt, spekulieren zu müssen. Die Wirtschaft habe ein großes Interesse an billigen Arbeitskräften und weiteren Konsumenten. Für die Politik sei es ein Mittel gegen den Bevölkerungsrückgang. Den Linken gehe es um Multikulti. Dagegen ließe sich einwenden, dass Deutschland es den Flüchtlingen viel einfacher machen könnte, indem es eine Flucht per Flugzeug ermöglicht. Dass das Asylrecht in den 90ern verschärft wurde. Dass die Balkanroute dicht ist. Altmieks lässt diese Einwände nicht gelten. Auch nicht, dass nur Migration einen Bevölkerungsrückgang verhindert. Mit dem hat er kein Problem. "Ein Bevölkerungsrückgang ist bei einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland keine schlimme Sache, und wenn der Sozialstaat scheitert, ist der einzelne wieder stärker auf die Familie angewiesen. Was wieder zu mehr Nachkommen führen würde."

Er will erstmal keine weiteren Flüchtlinge in Deutschland

Altmieks ist nicht dagegen, Flüchtlingen zu helfen. Aber nicht hier. Deutschland sei als Industrieland mitverantwortlich für Armutsflüchtlinge, aber "wir werden das Elend nicht beseitigen, indem wir die Grenzen öffnen." Er fordert deshalb, dass Deutschland dazu beiträgt, die Fluchtursachen zu beheben. Hilfe vor Ort, Hilfe in den Nachbarstaaten. Aber eher keine Hilfe in Deutschland. Die Identitären hätten sich längst für Flüchtlingshilfe vor Ort eingesetzt, sagt er, aber niemand habe mit ihnen kooperieren wollen. Dagegen lässt sich einwenden, dass die meisten Flüchtlinge sich bereits in den Nachbarländern im Nahen Osten aufhalten und der Kampf gegen die Flüchtlingsursachen dauert. Altmieks lässt das nicht gelten: "Die deutsche Flüchtlingspolitik führt auch irgendwann hier zu Elend." Sein Vorschlag: "Erst mal bestehendes Gesetz anwenden. Das hieße augenblicklich keine weiteren Flüchtlinge." Er fügt hinzu: "Über Hilfe in Deutschland kann man diskutieren, aber angesichts der hohen Zuwanderung ist da nicht mehr viel Raum."

Die Idee vom "großen Austausch" geht zurück auf den französischen Schriftsteller Renaud Camus, ein Wegbereiter des Front National. Camus unterstellt Migranten in "Revolte gegen den großen Austausch" eine Gegen-Kolonialisierung mit linker Schützenhilfe zu planen, bis die Migranten stark genug sind, um "die Führung des Landes, als Ganzes oder zu erheblichen Teilen, selbst in die Hand zu nehmen." Gewalttaten, die Migranten begingen, dienten zu einem großen Teil "als objektives Mittel ihrer Eroberungsstrategie." Das ist fremdenfeindlich. Altmieks sagt, er stimme Camus nicht in allem zu. Mit dem Schlagwort vom "großen Austausch" gehen die Identitären trotzdem auf Demos.

Auch einige Äußerungen von Identitären machen es einem schwer, in ihrem Verein lediglich eine Gruppe von Patrioten zu sehen. Manchmal wandeln sie so nah am Abgrund der Fremdenfeindlichkeit und Demokratie-Verachtung, dass jeder Schritt der letzte sein könnte. In einer Selbstdarstellung von 2012, die mittlerweile nicht mehr online ist, schreiben die Identitären, dass sie "die Dogmen der herrschenden Zivilreligion und ihre tragikomischen Jünger gnadenlos verarschen und in der Luft zerreißen. Sie sind lächerlich, erbärmlich, abgelebt, ideenlos und nicht in der Lage, die kommenden Probleme zu lösen." Martin Sellner, Chef der Wiener Identitären, schreibt auf der Webseite "Identitäre Generation": "Entweder die Identitäre Bewegung oder die herrschende Ideologie. Einen Mittelweg gibt es hier nicht."

Unter den Identitären sind auch Ex-NPD-Mitglieder

Der Rostocker Identitäre Daniel Fiß erweckt auf derselben Website den Eindruck, dass Deutschsein für ihn eine Frage des Blutes ist. Auf einer Webseite der Identitären kritisiert er, dass als Personen mit Migrationshintergrund in den Statistiken nur die erste und zweite Generation gelten und nicht noch die dritte und vierte Generation. "Man kann ohne viel Spekulation behaupten, dass dies auch ganz klar als Verschleierungstaktik über die wahren Ausmaße des ,Großen Austausches‘ dient." Er warnt, dass Deutsche ab 2050 eine Minderheit im eigenen Land sein könnten. Mit Deutsche meint er Menschen, deren Familien bereits lange in Deutschland sesshaft sind. Auch damit unterstellt er den Migranten, dass sie nur schwer bis gar nicht Deutsche werden könnten. Migranten fasst er denn auch gleich als eine "ethnische Gruppe" zusammen. Er diagnostiziert mit vollem Ernst: "Die vom Liberalismus durchsetzten Gesellschaften sind inzwischen in ein Stadium der überschwänglichen Dekadenz und des totalen Nihilismus getreten, welches sich zunehmend in einem ethnomasochistischen Selbsthass widerspiegelt und dabei ein kulturelles Sinnvakuum hinterlässt. In dieses Vakuum stoßen nun die vitalen, und lebensbejahenden Völker aus anderen, fernen Kulturen, die ihren Bevölkerungsüberschuss nach Europa exportieren." Fiß war früher bei der NPD. Aktuelle NPD-Mitglieder nehmen die Identitären nicht auf. Wer Mitglied war, muss überzeugend darlegen, dass er diese Phase überwunden hat.

Ein anderer Identitärer aus Mecklenburg-Vorpommern schreibt, dass "es sowohl für Europa als auch die Muslime sinnvoller ist, möglichst kein gemeinsames Territorium zu bewohnen." Heißt also: Muslime möglichst raus aus Europa. Wer so schreibt, der sollte sich zumindest nicht wundern, für fremdenfeindlich gehalten zu werden.

Sie zeigen nur die Schattenseiten des Islam

Auch ihre Aktionen auf der Straße lassen den Respekt gegenüber anderen Kulturen vermissen, den ihr Ethnopluralismus laut eigener Aussage auszeichnet, vor allem gegenüber dem Islam, den sie auf seine Schattenseiten reduzieren. Auf ihren Demos verkünden sie Slogans wie "Festung Europa — macht die Grenzen dicht" und "Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation". Nach den Anschlägen in Nizza, Reutlingen, Würzburg und Ansbach färbten sie das Wasser des Neptunbrunnens in Berlin rot. Sie verkünden "Multikulti ist tödlich" und nehmen in ihre Aufzählung auch den Attentäter von München auf, obwohl der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, aber eben iranische Eltern hatte. Hier zeigt sich, wie sehr die Identitären alles erst einmal auf die Herkunft beziehen. Sie verkünden "Grenzen retten Leben, Islamisierung tötet".

Altmieks räumt denn auch ein, dass diese Aktionen nicht dazu gedacht sind, das Verständnis für andere Kulturen zu fördern. "Natürlich haben wir Respekt vor anderen Kulturen, aber ist es schwer, das nach außen darzustellen", sagt Altmieks. "Unsere Priorität liegt zur Zeit auf dem Identitätsverlust."

In Hamburg stellten die Identitären drei Frauen nebeneinander. Die erste trug ein Schild mit der Jahreszahl 2006 und sah ganz normal aus. Die zweite hatte Schrammen und Flecken im Gesicht. Sie stand für Frauen in Deutschland 2016, eine Anspielung auf Köln. Ganz so, als sei die Mehrheit der deutschen Frauen in diesem Jahr von Migranten belästigt worden. Rechts stand eine Frau, die das vermeintliche Schicksal der Frauen im Jahr 2026 zeigte. Sie trug einen Niqab.

(seda)
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