Interview mit Robert Habeck "Menschen suchen nach Halt, nach Werten"

Berlin · Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum er Ende Januar Parteichef der Grünen werden will – und welche Rolle die Öko-Partei als kleinste Fraktion im Sieben-Parteien-Parlament künftig spielen soll.

 Robert Habeck (Archivbild).

Robert Habeck (Archivbild).

Foto: Markus Scholz/dpa

Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck erklärt im Interview mit unserer Redaktion, warum er Ende Januar Parteichef der Grünen werden will — und welche Rolle die Öko-Partei als kleinste Fraktion im Sieben-Parteien-Parlament künftig spielen soll.

Warum wollen Sie nach langem Zögern jetzt doch Parteichef werden?

Habeck Aus der politischen Gesamtlage erwächst noch mal neu eine Aufgabe: Wir brauchen eine Partei, die eine gesellschaftliche Dynamik für eine progressive, ökologische und linksliberale Politik auslöst. Ich glaube, dass wir Grünen das Zeugs dazu haben: Wir sind als Bewegung von der Straße entstanden und haben mit unserer Kraft Verkrustungen aufgebrochen. Daran können wir andocken und die Trommeln für eine den Menschen zugewandte, optimistische Politik schlagen.

Warum braucht man dafür unbedingt Sie?

Habeck Das ist nicht meine Frage, das entscheiden andere. Ich aber habe große Lust, dass wir uns dieser neuen Aufgabe stellen. Lassen wir uns nicht ins Bockshorn davon jagen, dass wir jetzt die kleinste Oppositionspartei sind — wir müssen mit Leidenschaft rein in die Gesellschaft, ins Leben. In unserer Partei sind so viele Ideen, es schlummert so viel Querdenkertum — lasst uns das gemeinsam rausholen und neue Kraft entwickeln.

Was würden Sie anders machen als Cem Özdemir, der nicht wieder kandidiert?

Habeck Jeder Mensch macht Dinge immer anders. Cem ist nicht umsonst einer der populärsten Politiker in Deutschland. Sollte ich Parteichef werden, bringe ich meine dann fast sechsjährige Erfahrung als Vize-Ministerpräsident und Umwelt- und Agrarminister in Schleswig-Holstein mit. In dieser Praxis habe ich gelernt, das das in meiner Partei häufig als Spagat wahrgenommene Spannungsverhältnis zwischen Idealismus und Pragmatismus eigentlich ein Kraftzentrum ist. Idealismus und Pragmatismus bedingen sich. Wir gewinnen Mehrheiten nicht, indem wir unsere Überzeugungen nur möglichst laut verkünden. Sondern, indem wir zuhören, verstehen, woher Angst und Widerstand kommen und versuchen es so hinzukriegen, dass grüne Politik am Ende vielleicht sogar den Kritikern dient.

Wo sehen Sie die Rolle der Grünen in den kommenden vier Jahren?

Habeck Politik in Deutschland mutet ja oft sehr altmodisch an. Auf die neuen Herausforderungen neue Antworten geben, das steht jetzt an: Globaler Kapitalismus, die Chancen und Verwerfungen der Digitalisierung, die Rolle Europas, die Verschlechterung des Klimas, die neuen Kriege. Die Gesellschaft ändert sich dramatisch und das spürt ja eigentlich jeder. Die Politik muss wieder auf Ballhöhe kommen, sonst wenden sich Menschen vom Spiel ab. Nur dumm, dass das Spiel Demokratie heißt.

Das klingt gut. Wo sollen die Grünen nach vier weiteren Jahren Opposition stehen?

Habeck Nach Lage der Dinge heute wird es in vier Jahren noch schwerer sein als es jetzt ist, Regierungskoalitionen zu schmieden. Die Fliehkräfte zwischen Grünen und FDP und zwischen Grünen und Linken werden ja grad eher größer. Die SPD wird es in der nächsten Groko vermutlich auch schwer haben, in der CDU wird an Merkels Stuhl gesägt. Unsere Antwort muss eine gesellschaftliche, keine taktische sein: Wir müssen eine ökologische, linksliberalen Politik so attraktiv machen, dass sich die anderen an uns ausrichten.

Schauen wir uns die Flüchtlingsfrage an. Haben viele Menschen AfD gewählt, weil sie mit Merkels Flüchtlingskurs nicht einverstanden waren?

Habeck Ich glaube, dass die Flüchtlingsfrage eine Stellvertreter-Rolle einnimmt. Menschen suchen nach Halt, nach Werten. Die Situation im Herbst 2015 hat den Eindruck der Haltlosigkeit vermittelt, weil der Staat für einige Zeit überfordert zu sein schien. Das hat es den Populisten leicht gemacht, die Flüchtlingsfrage zum Feindbild aufzubauen. Ohne die Flüchtlinge wäre das Problem der Verunsicherung aber auch da gewesen.

Müssen die Grünen in der Flüchtlingspolitik bei dem pragmatischen Kurs bleiben, den sie in den Jamaika-Sondierungen eingeschlagen haben?

Habeck Aus humanitären Gründen ist eine Begrenzung beim Familiennachzug falsch. Die Syrer und Iraker mit subsidiärem Schutz sind ja nun einmal hier bei uns, wann die Kriege in ihrer Heimat zu Ende gehen, weiß niemand. Aber der Familiennachzug verläuft ja geplant, Menschen brauchen Visa, bekommen Flugtickets. Auch hier lässt sich eine klare wertegeleitete Politik mit einer pragmatischen Umsetzung vereinen. Ein geordneter Familiennachzug ist händelbar und macht die Integration eher leichter.

Was sagen Sie dazu, dass Deutschland der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung zugestimmt hat?

Habeck Es war ein Foul von Agrarminister Schmidt, das nur in dieser Übergangszeit der geschäftsführenden Regierung möglich war, sonst wäre er vermutlich gleich entlassen worden. In der Sache ist die Glyphosat-Zulassung falsch. Wenn wir feststellen, dass wir heute 75 Prozent weniger Insekten haben als in den Achtzigern, dann müssen wir doch etwas ändern. Die Pflanzengifte in der Landwirtschaft sind zwar nicht der einzige Grund dafür, aber eine der Hauptursachen. Und es gibt Alternativen zu den Pflanzengiften. Man hätte sich in der EU mindestens auf ein Enddatum für Glyphosat einigen müssen und einen geordneten Ausstieg einleiten müssen. Gerade bei den ökologisch-landwirtschaftlichen Themen hätten wir Jamaika auf einen sinnvollen Kurs bringen können, die Papiere waren ja geeint.

Warum sollen die Grünen jetzt wegen Ihnen von ihrem Prinzip abgehen, Amt und Mandat zu trennen?

Habeck Es ist das erste Mal, dass sich ein Minister aus dem Amt heraus sich für den Parteivorsitz bewirbt. Ich bitte meine Partei darum, damit lösungsorientiert umzugehen. Es kann ja auch Synergien geben. Ich möchte meine Leidenschaft und Erfahrung für die Partei einbringen. Ich habe aber auch eine Verpflichtung in Schleswig-Holstein. Wir regieren erst ein halbes Jahr und ich habe eine Verantwortung angenommen — geplant für fünf Jahre. Im Land entscheiden die nächsten Monate darüber, ob wir beispielweise unser grünes Kernprojekt, die Energiewendeziele, in der Realität der Jamaika-Koalition behaupten können. Ich kann und will das nicht holterdipolter fallen lassen. Ich habe jetzt einen Weg beschrieben, wie ich mit dieser doppelten Verpflichtung — sollte ich gewählt werden - umgehen kann, ohne meine eigenen Vorsätze zu verraten.

Was passiert, wenn der Grünen-Parteitag nicht die Satzung mit Zweidrittelmehrheit für Sie ändert?

Habeck Ich werde natürlich nur kandidieren können, wenn es satzungskonform ist.

Und wenn die Übergangszeit nur ein halbes Jahr beträgt?

Habeck Es gibt inzwischen ja eine Reihe von verschiedenen Anträgen zu dem Thema. Für mich ist wichtig, mit der Verantwortung, die ich angenommen habe, verantwortungsvoll umzugehen. Ich gehe davon aus, dass eine geordnete Übergabe an einen oder eine Nachfolgerin binnen Jahresfrist gut möglich ist.

Diese Frage der Satzungsänderung führt wieder zu einer Zerreißprobe zwischen Linken und Realos…

Habeck Unsere Partei ist vielfältig, und das gehört dazu. Aber ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich lieber entlang der Sache streite, als entlang festgefügter Flügelarithmetik. Wir haben ja noch andere Positionen zu vergeben, die Beisitzer, die vielleicht zu stellvertretenden Parteivorsitzenden werden, wie es ein anderer Antrag will, auch der Parteirat wird gewählt. Ich glaube, wir haben viele Möglichkeiten, die Partei in ihrer Breite abzubilden und einzubinden.

Sie zusammen mit Annalena Baerbock, die auch dem Realo-Flügel angehört, an der Parteispitze, wäre das gut?

Habeck Annalena ist eine starke Politikerin. Das hat sie ja gerade mit ihrem Antritt eindrucksvoll bewiesen. Aber es gibt bei der Wahl keine Teams. Und das ist ja das Gute gerade. Bislang wurden Teams bei uns nach Flügellogik zusammengesetzt. Aber nur weil Linke Linke oder Realos Realos sind, haben sie doch keine schlechteren Ideen. Im Grunde machen wir gerade genau das Notwendige. Wir diskutieren, wie und wer wir in Zukunft sein wollen. Und dann wählen wir uns denn Vorstand dazu. Ich habe sehr die Hoffnung, dass aus diesem Prozess eine Kraft erwächst.

Das Interview führte Birgit Marschall.

(mar)
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