Zähe Verhandlungen Sind die Akteure zu klein für das Jamaika-Projekt?

Meinung | Berlin · Sieben Wochen nach der Bundestagswahl haben CDU, CSU, FDP und Grüne auch in der vermeintlich letzten Nacht der Entscheidung noch keinen Weg zu einer neuen Regierung gefunden. Für die Frage, ob das Vertrauen für vier stabile Regierungsjahre reicht, ist das kein gutes Zeichen.

 Jamaika-Sondierungsgespräche (Symbolbild).

Jamaika-Sondierungsgespräche (Symbolbild).

Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

Insbesondere in der Union war die Erwartung groß, dass die in Dutzenden von langen und mühsamen Fachgesprächen formulierten Korridore für Einigungen in der Nacht endgültig durchschritten werden können, oder aber die Sondierungen für eine schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition definitiv scheitern. Die Unterhändler fuhren sich indes derart fest, dass sie die geplanten Gremiensitzungen absagten und nach einer Erholungspause am Freitagmittag weiter verhandeln wollen. Das bestätigt, dass dieses auf Bundesebene beispiellose Projekt tatsächlich nicht mit den herkömmlichen Verhandlungserfahrungen gemessen werden kann. Hier entsteht etwas herausfordernd Neues - oder es entsteht eben nicht.

Vor allem zwischen CSU und Grünen läuft es nach wie vor nicht rund. CSU-Chef Horst Seehofer bezichtigte Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner, Falschmeldungen über die Situation der Christsozialen und deren Verhandlungsposition zu verbreiten. Diesen Konflikt noch in der Nacht öffentlich vor den Fernsehkameras auszutragen, deutet nicht darauf hin, dass die Sondierungen kurz vor einem vertrauensvollen Abschluss stehen. Und es belegt, unter welchem Druck Seehofer in der eigenen Partei steht, wenn er am frühen Morgen die Solidarität innerhalb der CSU-Delegation öffentlich betonen muss. Dabei sind Stellungskämpfe angesichts der Rückzugsforderungen an Seehofer in ungeklärter Machtsituation nur natürlich. Die Sondierungen erwischen die CSU zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt.

Wenn ein Viererbündnis seine Politik ohne eigene Mehrheit im Bundesrat durchsetzen will, muss es sein Projekt aus dem Effeff beherrschen. Doch gerade bei F und F, in der Finanz- und der Flüchtlingspolitik, kommen Union, Grüne und FDP nicht voran. CDU und CSU haben längst zu einem Asyl-Kompromiss gefunden, die Liberalen einen weiteren Kompromiss für ein Jamaika-Bündnis vorgelegt. Aber insbesondere die Frage des Familiennachzuges ist inzwischen symbolisch derart aufgeladen, dass es auf beiden Seiten den Kern des jeweiligen Selbstverständnisses berührt: Sendet eine neue Koalition das Signal, dass Deutschland hart gegen humanitäre Familienrechte vorgeht, können die Grünen nicht Teil eines solchen Projektes sein. Erweckt eine künftige Regierung den Eindruck, als würden die Grenzen auch für Angehörige derjenigen geöffnet werden, die eigentlich keine Bleibeperspektive haben, verbietet sich für die CSU eine Beteiligung.

An dieser Stelle zeigt sich die Größe von Politikern. Sie können in solchen Situationen Verantwortung für mehr als das Wohlergehen ihrer Partei und sich selbst übernehmen und kraftvoll neue Lösungen entwickeln, die die Gesellschaft weiterbringen und der eigenen Partei genug Luft zum Atmen lassen. Gewöhnlich entstehen solche Lösungen dann, wenn es eine zeitliche Grenzlinie gibt. Die erste haben Schwarze, Gelbe und Grüne ohne Ergebnis durchbrochen. Es klingt vor diesem Hintergrund fast illusionslos, wenn die CSU erst einmal keine neuen Zeitvorgaben in den Blick nehmen will.

In diesen Tagen wird sich also erweisen, ob das Projekt Jamaika zu groß ist für die handelnden Personen. Neuwahlen nach einem Scheitern haben jedenfalls das Potenzial, alle Beteiligten noch kleiner zu machen.

(may)
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