Reaktionen zum Jamaika-Aus Merkel bedauert Rückzug der FDP - Grüne üben Kritik

Berlin · Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) haben das Aussteigen der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen bedauert. Die Grünen werfen den Liberalen einen Mangel an Verantwortung vor.

Die Union habe geglaubt, dass man gemeinsam auf einem Weg gewesen sei, auf dem man eine Einigung hätte erreichen können, sagte Merkel am frühen Montagmorgen in Berlin. Merkel zeigte sich überzeugt, dass bei dem Streitthema Zuwanderung ein Kompromiss mit den Grünen möglich gewesen wäre. "Wir hatten aus unserer Perspektive der Union sehr vieles erreicht in diesen Verhandlungen, was die Stabilität des Landes gestärkt hätte," sagte Angela Merkel, sowohl im Hinblick auf den Klimaschutz, aber auch zu sozialen Fragen und der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen" sei man sich näher gekommen.

So reagieren Politiker auf das Aus der Jamaika-Sondierungen 2017
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Reaktionen auf das Aus der Jamaika-Sondierungen

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CSU-Chef Horst Seehofer nannte den Abbruch der Jamaika-Sondierungen eine "Belastung" für Deutschland. Eine Einigung sei "zum Greifen nahe" gewesen, sagte Seehofer in der Nacht in Berlin. Auch bei der Migrationspolitik wäre eine Einigung möglich gewesen. Er sei den ganzen Tag davon ausgegangen, dass es eine Einigung geben werde, sagte Seehofer. Das hätte ermöglicht, eine Antwort auf das Wahlergebnis zu geben, die Polarisierung zu bekämpfen und "politisch-radikale Kräfte" zurückzudrängen. Seehofer sagte zum Abbruch der Verhandlungen durch die FDP: "Das ist schade."

Grüne kritisieren Liberale scharf

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner kritisierte das Verhalten der FDP. Sie bezeichnete die Taktik der Liberalen auf Twitter als "gut vorbereitete Spontanität". "Anständig wär es gewesen, wenn alle Parteivorsitzenden gemeinsam den Abbruch hätten verkünden können", schrieb sie.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin kritisierte die FDP nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche scharf. Es habe ein Gesamtpaket vorgelegen aus Klimaschutz, Familiennachzug, Arbeitsrecht, Abschaffung des Soli-Steuerzuschlags und Mütterrente, auf das sich die Grünen hätten einigen können, sagte Trittin in der Nacht. Die FDP habe zu diesem Zeitpunkt aber schon ihre Pressemitteilung über den Abbruch der Gespräche vorbereitet. Als FDP-Chef Christian Lindner dies vor der Presse verkündet habe, hätten Grüne, CDU und CSU gemeinsam vor den Bildschirmen gestanden und "schockiert über diesen Abgang" zugesehen.

Trittin sieht Deutschland nach dem Scheitern der Verhandlungen in einer "schwierigen" Lage. Deutschland werde zum ersten Mal lange Zeit mit einer geschäftsführenden Regierung leben müssen, sagte Trittin. "Es sei denn, die SPD kommt aus der Politikverweigerung raus." Gleichzeitig stelle sich die Frage, "wie man sich angesichts der Herausforderung durch die AfD aufstellt", fügte er hinzu.

Keine Minderheitsregierung und keine "GroKo"

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Trittin schloss am frühen Montagmorgen zugleich eine Minderheitsregierung von Union und Grünen aus: "Deutschland muss stabil regiert werden, und dafür bedarf es einer Mehrheit im Parlament", sagte Trittin im ZDF. " Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte, die FDP habe sich "nicht für gemeinsame Verantwortung entschieden". Sie dankte Kanzlerin Angela Merkel, die gemeinsam mit den Grünen Verantwortung hätte übernehmen wollen.

Auch Parteichef Cem Özdemir kritisierte die Entscheidung der Liberalen scharf. Die Grünen hätten bis zur letzten Sekunde die Bereitschaft gehabt, eine Koalition zu bilden. "Ein Partner hatte diese Bereitschaft nicht." Und die FDP habe dies bereits zum Start der Verhandlungen erkennen lassen. Die FDP habe die einzig mögliche Konstellation zur Regierungsbildung "leider abgelehnt und zunichte gemacht", sagte Özdemir.

Die Grünen seien bei vielen Themen an ihre Schmerzgrenzen und darüber hinaus gegangen. Aus Verantwortung für das eigene Land, aus "einer Haltung des Patriotismus", im Wissen um Deutschlands Bedeutung für Europa und die Welt. Nun falle die Bundesrepublik bei der Erneuerung Europas, die auch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorangebracht werde, erst einmal aus, sagte Özdemir.

Die SPD wiederum hält nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche an ihrer Absage für eine Regierung mit der Union fest. "Es gibt kein Mandat für eine große Koalition", sagte SPD-Vize Ralf Stegner am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Dies gelte unabhängig davon, ob die CDU-Vorsitzende Angela Merkel wieder antrete. "Wir wünschen uns keine Neuwahlen, aber wir scheuen sie auch nicht", sagte Stegner. Zuvor hatte der SPD-Politiker getwittert, durch die Absage der FDP "verändert sich die Lage für die SPD nicht".

"Unverantwortlich, unseriös, berechnend"

Grünen-Chefin Simone Peter warf der FDP in einer Twitter-Meldung vor, sie habe vier Wochen lang die Öffentlichkeit getäuscht. "Unverantwortlich, unseriös, berechnend", nannte Peter das Agieren der Liberalen in dem Kurznachrichtendienst. Die Grünen gingen "aufrecht" aus den Verhandlungen.

Der FDP-Politiker Volker Wissing dagegen richtete scharfe Vorwürfe an die Adresse von Merkel. Die Union sei mit dem Regierungsbildungsauftrag offensichtlich überfordert gewesen, sagte er am Montagmorgen im Deutschlandfunk. Die Kanzlerin habe "chaotische Sondierungsverhandlungen organisiert. Sie hat die Lage völlig falsch eingeschätzt." FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte, ihre Partei habe weder Angst vor einem Gang in die Opposition noch vor Neuwahlen. "Wir werden eine putzmuntere Opposition machen", sagte sie im "ZDF-Morgenmagazin".

Merkel will Steinmeier unterrichten

Laut Noch-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) erwartet die internationale Gemeinschaft möglichst schnell Klarheit über das weitere Vorgehen. "Alle haben die Hoffnung, dass sehr bald eine Klärung insofern zustande kommt, dass Deutschland wieder eine stabile Regierung hat", sagte der SPD-Politiker am Montag am Rande eines Asien-Europa-Außenministertreffens in Myanmar. "Das spüren sie ja hier in allen Gesprächen (...), dass alle sehr aufmerksam nach Deutschland schauen." Zum weiteren Vorgehen seiner eigenen Partei wollte Gabriel sich aber nicht äußern. "Ich kann dazu nichts sagen, dazu bin ich viel zu weit weg. Ich kann das nicht beurteilen."

Angela Merkel kündigte in der Nacht an, sie werde am Morgen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über den Stand der Dinge informieren. Die Union werde in den nächsten Wochen weiter verantwortlich handeln. Sie werde als geschäftsführende Bundeskanzlerin alles dafür tun, dass das Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt werde.

Nach dem Gespräch mit Steinmeier will Kanzlerin Merkel laut einer Mitteilung der CDU aus der Nacht mit dem Vorstand ihrer Partei in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen beraten. Der Bundespräsident verschob wegen der gescheiterten Jamaika-Sondierungen seine für Montag und Dienstag geplante Reise nach Nordrhein-Westfalen.

(juju / oko)
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