Jamaika-Sondierungen Sie bewegen sich doch

Berlin · Tagelang herrscht Flaute bei den Jamaika-Sondierungen, und plötzlich geht es doch weiter. Die Experten der Unterhändler legen Vorschläge in den Bereichen Europa, Bildung, Digitales, Arbeit und Inneres vor. Es keimt wieder Hoffnung auf, dass der Zeitplan eingehalten wird.

 Christian Lindner, Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt bei den Sondierungsgesprächen (Archivfoto).

Christian Lindner, Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt bei den Sondierungsgesprächen (Archivfoto).

Foto: dpa, mkx tba

Es ist ein Signalwort, und da Jamaika-Unterhändler so gern in Bildern über den Stand ihrer Ergebnisse sprechen, kann man jetzt wohl sagen: Ahoi. Jedenfalls verkündete der politische Geschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, am Freitag gegen Ende der zweiten Etappe nach stundenlangen Beratungen in Berlin: "Die Segel sind gesetzt."

Das war weit optimistischer als so ziemlich alle anderen provokanten oder metaphorischen Formeln der beteiligten Politiker zuvor. Und auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), sprach von einem deutlichen Schritt nach vorn, die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer von einem gemeinsamen Rahmen und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sogar von einem sehr sportlichen Übergang in die dritte Phase.

Was ist passiert? Tagelang herrschte Flaute, und dann bewegte sich plötzlich etwas. Die Experten der Unterhändler legten Vorschläge in den Bereichen Europa, Bildung, Digitales, Arbeit und Inneres vor. Am Samstag sollen die Parteichefs und Verhandlungsführer die noch offenen Streitfragen klären und eine Prioritätenliste anlegen.

Denn in den Sondierungspapieren summieren sich allein die empfohlenen Projekte bei Bildung und Forschung auf Ausgaben von mehr als 16 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren. Aber es keimt nun wieder Hoffnung auf, dass der Zeitplan eingehalten wird, spätestens in der Nacht zum nächsten Freitag ein aussagekräftiges Papier zu haben.

Grüne hatten Kompromissbereitschaft beim Thema Klima signalisiert

Das ist dann auch der letzte Drücker, weil der CDU-Bundesvorstand unter der Leitung von Kanzlerin Angela Merkel bereits am Freitagmorgen um 10 Uhr zusammenkommen wird, um über ein solches Papier zu beraten. Etwa gleichzeitig will sich auch die CSU versammeln. Eine Woche später steht dann den Grünen und der FDP das Rendezvous mit ihren Gremien beziehungsweise ihrer Basis bevor.

Bis Donnerstagabend waren sie alle noch auf der Stelle getreten, viele hatten in Interviews übereinander hergezogen und wenig Einigungsbereitschaft gezeigt. In den etlichen kleinen und großen Gesprächsrunden waren es dann vor allem Vertreter von CDU und Grünen, die auf erste vorzeigbare Ergebnisse drangen.

Die Grünen hatten auch schon zu Wochenbeginn Kompromissbereitschaft beim Thema Klima signalisiert - bei ihren Herzensthemen Braunkohle und Verbrennungsmotor sind sie bereit, Abstriche zu machen. Den gewünschten Swing brachte die Offensive aber zunächst nicht. Christdemokraten und Grüne klagten, dass die Liberalen inhaltlich "am schlechtesten sortiert" seien beziehungsweise in den Verhandlungen die größte Distanz zu den anderen Parteien wahrten.

Nach dem Sprung aus der außerparlamentarischen Opposition in Regierungssondierungen fehlt es der FDP auch an dem Unterbau an fachlich beschlagenen Mitarbeitern, die klassischerweise in solchen Verhandlungen Fakten und Argumentationshilfen liefern. Während die Kanzlerin in verschiedenen Runden "staatspolitische Verantwortung" aller Beteiligen anmahnte und die Grünen dies unterstrichen, hätten Liberale und CSU nur bedingt Interesse an einer Verständigung der vier Parteien gezeigt, heißt es.

Die CSU legte zudem ein uneinheitliches Auftreten an den Tag. Der angeschlagene Parteichef Horst Seehofer wird als sachorientiert beschrieben, er wolle diese Koalition, wird erzählt. Und der 68-Jährige gibt auch ganz frank und frei zu: "Das ist die letzte Koalition in meiner politischen Laufbahn, die noch in meiner Sammlung fehlt." Dabei war ein Bündnis mit den Grünen für ihn immer ein Schreckensszenario. Nun jedoch sagt er: "Wir biegen jetzt ein auf die Zielgerade."

Wenn der Name des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt fällt, rollen unterdessen viele Unterhändler mit den Augen. Als die Grünen beim Thema Klima öffentlich die Hand ausstreckten, höhnte er, dass das Abräumen eines "Schwachsinnstermins" noch kein Kompromiss sei. Hinter den geschlossenen Türen agiere er genauso, sagen die, die dabei sind.

Dabei haben viele Grüne wiederum nicht Dobrindts Anspielung auf den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann verstanden. Der Oberrealo der Grünen hatte nämlich im Sommer selbst von "Schwachsinnsterminen" gesprochen, als es um die Forderung der Partei ging, von 2030 an nur noch Elektroautos zuzulassen.

Jamaika-Bündnis verliert in Umfrage an Reputation

Der Grund für das dann plötzliche Aufeinanderzugehen waren vielleicht die drastischen Zahlen des ARD-"Deutschlandtrends", wonach das geplante Jamaika-Bündnis schon mächtig an Reputation verloren hat. Möglicherweise war es auch die Erkenntnis bei einigen FDP-Unterhändlern, dass es schwierig wäre, den Regierungsauftrag der Wähler zurückzugeben.

Auch die Steuerschätzung vom Donnerstag, die den Koalitionären einen Gestaltungsspielraum von 30 Milliarden Euro in den kommenden vier Jahren eröffnete, könnte die Unterhändler zu ersten Kompromissen motiviert haben. FDP-Chef Christian Lindner machte bei der Forderung nach einem Aus für den Soli schon einmal weitere Zugeständnisse.

Der Grüne Michael Kellner, der bei aller Skepsis die Segel gesetzt hat, wünscht sich jetzt von "allen Seiten" mehr Rückenwind. Ahoi Jamaika?

(qua)
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