Gastbeitrag Öffnung der Ehe ist ein logischer Schritt

Berlin · Es ist vielleicht sogar gut, dass die rechtliche Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Partnerschaften in Deutschland schrittweise umgesetzt wurde. Denn so konnte mit jedem Schritt die Akzeptanz wachsen.

 Seit dem 3. Juli 2015 ist Jens Spahn Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.

Seit dem 3. Juli 2015 ist Jens Spahn Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.

Foto: dpa

Das kleine Dorf im katholischen Münsterland, in dem ich groß geworden bin, ist für mich ein besserer Gradmesser für gesellschaftliche Veränderungen als die Szenebezirke der großen Städte. Klar, die Anstöße für Veränderungen, der Ruf nach mehr Freiheit und Emanzipation, der kommt eher aus der großen Stadt. Aber wirklich angekommen ist eine Entwicklung erst, wenn ich sie im münsterländischen Alltag spüre.

Selbstverständliche Teilhabe

Das gilt auch für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Die verdruckste Verklemmtheit, mit der bei uns im Dorf noch in den 90er Jahren übers Schwulsein, ja übers Anderssein des Sohnes, des Nachbarn, des Arbeitskollegen gesprochen wurde, ist vielfach einer gelassenen Offenheit gewichen. Schwule und Lesben nehmen mit ihren Partnern ganz selbstverständlich am Dorfleben, am Nachbarschaftsgrillen und am Schützenfest teil, ohne dass da was zu verstecken oder zu erklären wäre.

Insofern war es im Nachhinein vielleicht sogar ein Segen, dass die rechtliche Gleichstellung in Deutschland in den vergangenen mehr als 15 Jahren nur schrittweise umgesetzt wurde. Denn so konnten mit jedem Schritt und jeder Debatte Akzeptanz und Selbstverständlichkeit wachsen. Es gibt in der Folge heute in der Bevölkerung in allen politischen Lagern, von links bis rechts, eine übergroße Mehrheit für die Öffnung der Ehe. In Spanien und in Frankreich, wo die Gleichstellung eher über Nacht mit knappen Mehrheiten überfallartig durchgezogen wurde, haben anschließend Millionen Menschen in Madrid und Paris dagegen demonstriert und sind bis heute nicht versöhnt. Das ist in Deutschland spürbar anders.

Für mich als Christdemokraten schließt sich mit der Abstimmung am Freitag auch ein logischer Kreis. Denn gerade weil ich ein wertkonservativer Mensch bin, möchte ich, dass auch zwei Männer oder zwei Frauen Ja zueinander sagen und heiraten können. Wenn zwei Menschen rechtlich verbindlich vor dem Staat erklären, dass sie mit allen Konsequenzen lebenslang in guten wie in schlechten Zeiten finanziell und fürsorglich füreinander einstehen, dann leben sie genau die bürgerlichen Werte von Verlässlichkeit, von Freiheit in Verantwortung und von Zusammenhalt, wegen derer ich einmal in die CDU eingetreten bin.

Ehe ist wieder en vogue

Der Ehebegriff hat sich über Jahrhunderte hin gewandelt. Die Ehe als Institution war in ihrer Ausgestaltung und Zielrichtung im Jahr 1800 etwas anderes als im Jahr 1900 - und sie prägt sich heute in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld aus als noch 1960. Damals waren die Rechte der Frauen in der Ehe jedenfalls weit von heutigen Vorstellungen entfernt.

Es gab über die Jahrzehnte eine Entwicklung hin zu mehr Offenheit, zu mehr Gleichberechtigung, zu mehr Chancen und zu mehr Selbstverwirklichung. Der Kern ist aber geblieben: das verbindliche Versprechen zweier Menschen füreinander. Kurzum: Die Ehe hat sich positiv gewandelt und ist zum lebens- und liebenswerten Lebensmodell geworden. Die Öffnung für gleichgeschlechtliche Paare ist ein weiterer Ausdruck dieses Wandels.

Ich höre oft, die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben wäre ein weiterer Anschlag auf die Familie. Aber warum? Glaubt wirklich irgendjemand, dass auch nur ein Kind weniger in Deutschland geboren wird, wenn zwei Männer heiraten dürfen? Oder dass sich deswegen auch nur ein Paar von Mann und Frau weniger fürs Heiraten entscheidet? Das Gegenteil ist doch der Fall: Die Institution Ehe, die noch vor 20, 30 Jahren von den Linken als altbacken, spießig und ewiggestrig verpönt wurde, erlebt eine unglaubliche Renaissance. Ehe ist wieder en vogue — wie die Shell-Jugendstudie zeigt, auch und gerade bei jungen Menschen. Darin liegt eine große Chance für bürgerliche Politik. Wir haben als Christdemokraten in dieser Frage den Kulturkampf gegen die Linken gewonnen und merken es teils selber nicht.

Verbal abrüsten

Die CDU wird sich auch weiterhin leidenschaftlich für Familien mit Kindern einsetzen. Denn in Familien wird die Verantwortung gelebt, die Grundlage für den Erfolg und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist. Ich bin für die Öffnung der Ehe. Und gleichzeitig halte ich die Familie für den Kern unserer Gesellschaft. Mich betrübt es, dass in manchen gesellschaftlichen Kreisen das schwule Paar eine größere Anerkennung bekommt als die vollzeiterziehende Mutter mit drei Kindern. Ich finde, beides verdient unseren Respekt!

Was aber vor allem Not tut: Wir müssen in dieser Debatte auf beiden Seiten verbal abrüsten. Zwei Männer, die heiraten, sind nicht das Ende der Familie. Und wenn jemand sagt, aus religiösen Gründen sei die Ehe für ihn etwas, dass nur Mann und Frau vorbehalten ist, dann ist er nicht gleich homophob. Wer über Jahrzehnte gewachsene gesellschaftliche Rollenbilder in Basta-Manier plattmachen will, der tut dem eigentlichen Anliegen einen Tort an.

Wer Verständnis für die eigene Position erwartet, der sollte diesen Respekt auch der anderen entgegenbringen, ohne Schaum vorm Mund. Und so geht es jetzt darum, dass in der Diskussion der nächsten Tage, bis zur Abstimmung im Bundestag, beide zu Wort kommen: die Werber und die Zweifler. Das ist dem Thema angemessen. Und einer lebendigen Demokratie erst recht.

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