Wirbel um Berliner Lehrerin Jetzt steht Frau Sarrazin im Brennpunkt

Berlin (RP). Der Name Sarrazin ist wieder in den Schlagzeilen. Jetzt geht es um Ursula Sarrazin aus, Lehrerin und Frau des Provokateurs Thilo Sarrazin. Die Kinder wissen heute weniger als vor 20 Jahren, sagt sie. Dabei steht die Pädagogin selbst in der Kritik. Sie soll Kinder zu streng erziehen, schnell die Beherrschung verlieren und ausländische Kinder unangemessen behandeln. Andere glauben, Ursula Sarrazin werde aus Wut über ihren Mann gemobbt.

 Ursula Sarrazin unterrichtet an der Reinhold-Otto-Grundschule in Berlin.

Ursula Sarrazin unterrichtet an der Reinhold-Otto-Grundschule in Berlin.

Foto: ddp-Archiv

Die Grundschullehrerin Ursula Sarrazin sieht sich als Opfer einer Mobbing-Kampagne. Sie sorgt in Berlin zurzeit für ähnlich viel Aufregung wie früher ihr Mann Thilo Sarrazin als SPD-Finanzsenator, Bundesbanker und zuletzt als Autor des Buchs "Deutschland schafft sich ab", in dem er vor Überfremdung und Verdummung der Gesellschaft warnt.

Der 59-Jährigen wird ein autoritärer Unterrichtsstil vorgeworfen. Sie verliere schnell die Beherrschung, heißt es. Die Eltern eines deutsch-japanischen Jungen beklagten, ihr Sohn sei von Sarrazin als "Suzuki" bezeichnet worden. In einer Sonderkonferenz soll nun der "Schulfrieden" (Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner, SPD) wiederhergestellt werden. Die gescholtene Lehrerin verteidigt ihren Unterricht als angemessen autoritär und sieht sich an Stelle ihres Mannes gemobbt. Sie sagt: "Ich bin konsequent. So sehen mich auch viele Schüler."

Bei den Schülern von heute stellt Ursula Sarrazin Defizite fest. Sie hätten ein geringeres Wissen als vor 20 Jahren. Das Ehepaar ist sich einig. Thilo Sarrazin schreibt in seinem umstrittenen Buch: "Wenn der heutige Hauptschulabschluss nach zehnjähriger Schullaufbahn jenes Niveau an Leseverständnis und Grundschulmathematik sicherstellen würde, das man 1955 in einer 50-köpfigen Klasse mit Abschluss des vierten Schuljahres erwerben konnte, dann wäre man heute bildungspolitisch und in Bezug auf die Qualifikation für den Arbeitsmarkt wesentlich weiter." Ursula Sarrazin kritisiert zudem, die Schulbücher seien heute generell anspruchsloser. "Heute heißen Lesebücher ,Konfetti' und suggerieren einen lustigen Spaß."

Mit den von Ursula Sarrazin kritisierten Spaß-Lesebüchern lernen die Grundschüler hierzulande nach Expertenmeinung allerdings sehr erfolgreich. Bei den Schulstudien Iglu, die 2001 und 2006 die Lesefähigkeiten der Kinder testeten, schnitten die deutschen Grundschüler im internationalen Vergleich sehr gut ab. Sie landeten im oberen Drittel.

Wie auch bei den Pisa-Studien zählten die asiatischen Länder zu den Siegern. "Im rein europäischen Vergleich ist Deutschland spitze", sagt Tobias Stubbe, Mit-Autor der Iglu-Studie. Die Studie soll in diesem Jahr erneut erhoben werden. Davor muss den Pädagogen nicht bange sein: Erstmals wird sich dabei auswirken, dass mittlerweile bereits in den Kindergärten bei den Vierjährigen Sprachstandserhebungen gemacht werden. Im Bedarfsfall werden die Kinder schon vor der Schule gefördert.

Objektiv lässt sich nicht feststellen, ob die Schüler vor 20 oder 40 Jahren tatsächlich mehr wussten, als dies heute der Fall ist. Denn zwischen den 50er und 90er Jahren hat es darüber keine wissenschaftlichen Untersuchungen gegeben. Sollte der subjektive Eindruck von Ursula Sarrazin richtig sein, dass die Schüler heute weniger Fähigkeiten mitbringen, wenn sie in die Grundschule kommen, dass sie Schwierigkeiten haben, still zu sitzen und Regeln einzuhalten, dann leisten die Grundschullehrer in Deutschland Überragendes.

Denn auch bei den Themen Mathematik und Naturwissenschaften müssen sich die Grundschüler nicht verstecken. In beiden Fächern liegen die Leistungen deutlich über dem internationalen Durchschnitt, wie die Schulstudie Timss belegt, die alle vier Jahre erhoben wird.

Im Grundschulbereich gelingt es offenbar auch, dass die große Mehrheit der Schüler dem Unterrichtsstoff folgen kann. Die Studien zeigen, dass es eine relativ geringe Streuung bei der Leistung der Kinder gibt. Die Kehrseite: "Nicht zufriedenstellend ist der Umgang mit sehr leistungsstarken Schülern", sagt Stubbe. Dies gelinge in Großbritannien beispielsweise besser.

Die Engländer schnitten bei Iglu zwar etwas schlechter ab als die Deutschen, es gebe aber mehr Kinder mit herausragender Leistung. Auch das untere Ende des Leistungsspektrums alarmiert die Experten. Jedes sechste Kind verfügt am Ende der vierten Klasse nur über elementare mathematische Fertigkeiten. Marion Schick (CDU), Kultusministerin in Baden-Württemberg, schlägt vor, die Sommerferien für zusätzliche Förderangebote zu nutzen.

Unterm Strich schneiden die deutschen Grundschüler bei internationalen Vergleichsstudien deutlich besser ab als die 15-Jährigen in den Pisa-Tests. Das Ergebnis ist verblüffend. Denn für den Grundschulbereich wird im internationalen Vergleich besonders wenig ausgegeben. Im Primarbereich werden laut OECD-Bildungsstudie pro Kopf und Jahr rund 4500 Dollar investiert.

Damit liegt Deutschland an 19. Stelle unter 28 vergleichbaren Ländern. Mehr als der Durchschnitt der Industriestaaten geben die Deutschen hingegen für die Oberstufe der Gymnasien und für Hochschulen aus.

"Mit mehr Investitionen könnten auch noch bessere Ergebnisse erzielt werden", sagt Stubbe. Das Geld müsste aber in innovativen Unterricht fließen. "Eine Verkleinerung der Klassen, beispielsweise von 22 auf 20 Schüler, bringt nichts." Mehr Lernerfolg stelle sich erst ein, wenn die Gruppen wirklich sehr klein würden, etwa zwölf Schüler pro Klasse.

Als Schwachpunkt im deutschen Bildungssystem gilt die Förderung der Jüngsten. "Wir lassen Krippen und Kindergärten chronisch unterfinanziert", bemängelt der Psychologe und Pädagoge Wassilios Fthenakis. Die OECD empfehle, mindestens ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesen Bereich zu investieren. In Deutschland sei es nicht einmal die Hälfte davon.

(RP)
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