Streit mit Türkei über den Begriff "Völkermord" "Der Bundespräsident überschreitet seine Kompetenzen"

Berlin · Bundespräsident Gauck will die Massaker an den Armeniern erstmals offiziell als Völkermord bezeichnen. Türkische Verbände werfen ihm vor, seine Kompetenzen zu überschreiten. Ministerpräsident Davutoglu ruft die Kanzlerin an.

Nach Angaben der Bundesregierung erläuterte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu dabei die deutsche Haltung.

Sie habe ihm die Position in einem Telefonat am Dienstag dargelegt, teilte Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Mittwoch in Berlin mit. Bisher hatte Deutschland den Begriff mit Rücksicht auf die Türkei vermieden, die die Anerkennung des Massenmordes an Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als Genozid ablehnt.

Nach Informationen von welt.de hat Davutoglu sich bei dem Gespräch mit Merkel über den Begriff "Völkermord" beschwert. Dieser Terminus sei nicht zulässig, da er erst nach dem Zweiten Weltkrieg ins Völkerrecht aufgenommen wurde.

Gedenkstunde am 24. April

Wirtz sagte, diese Tonlage habe das Gespräch nicht gehabt. "Es war ein gutes Gespräch." Die Kanzlerin begrüße eine Erklärung des Ministerpräsidenten, in der er sich offen für einen Versöhnungsprozess zwischen Türken und Armeniern zeige.

Die Regierungsfraktionen Union und SPD stufen in einem Papier für eine Gedenkstunde am 24. April im Bundestag - das ist der 100.
Jahrestag - die Massaker erstmals als Völkermord ein. Die Regierung und Bundespräsident Joachim Gauck unterstützen das. Am Dienstag hatte Merkel Befürchtungen geäußert, dass Druck von außen den Versöhnungsprozess der Türkei mit Armenien belasten könnte.

80 Prozent der Türken in Deutschland dagegen

Vertreter türkischer Organisationen protestierten am Mittwoch in scharfer Form. 80 Prozent der drei Millionen in Deutschland lebenden Türken lehnten diese Begrifflichkeit ab, sagte der Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin, Bekir Yilmaz, am Mittwoch vor Journalisten in Berlin. Zwar seien tausende Armenier bei Deportationen ums Leben gekommen. "Aber ein Völkermord war es eben nicht", sagte Yilmaz.

Sollte Bundespräsident Joachim Gauck bei seiner mit Spannung erwarteten Rede am Donnerstagabend von "Völkermord" sprechen, würde er damit seine Kompetenzen überschreiten, sagte der Vorsitzende des Vereins Dialog und Frieden, Ali Söylemezoglu. Auch der Bundestag würde Schaden nehmen, sollte er eine entsprechende Resolution beschließen.

Scharf kritisierte er auch Papst Franziskus, der die Armenier als Opfer des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts bezeichnet hatte. "Der Papst war noch nie ein Verkünder von Wahrheiten", sagte Söylemezoglu.

"Einseitige Darstellungen der Geschichte"

Niyazi Öncel, Vorstandsmitglied des Vereins Gedankengut Atatürks, sagte, "einseitige Darstellungen der Geschichte" schadeten der Freundschaft zwischen Deutschland, der Türkei und Armenien. Die Umsiedlung der Armenier sei zwar eine "Katastrophe" gewesen. Es müsse aber auch gesehen werden, dass das osmanische Reich damals "Vaterlandsverteidigung" betrieben habe.

Anlässlich des 100. Jahrestages des Massakers an den Armeniern hatte sich die große Koalition auf einen Antragstext geeinigt, der am Freitag erstmals im Bundestag beraten werden soll. Darin heißt es zu den Armeniern: "Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist".

Am Donnerstagabend will Gauck bei einem Gedenkgottesdienst im Berliner Dom zu dem Thema sprechen. In den kommenden Tagen wird es Berlin mehrere Demonstrationen dazu geben, darunter einige zum Gedenken an die Armenier. Für Samstag hat die Türkische Gemeinde zu Berlin zu einer Demonstration unter dem Motto "Ende der Völkermordbeschuldigung" aufgerufen.

(dpa)
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