Bundespräsident Joachim Gauck Mit 77 in die zweite Amtszeit?

Berlin · An diesem Samstag feiert Bundespräsident Joachim Gauck seinen 75. Geburtstag. Er hat noch viel vor als Präsident. Gauck sieht sich verantwortlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft und wirbt für die Verantwortung Deutschlands in der Welt.

Der Taxifahrer, der Joachim Gauck am 20. Februar 2012 zum Kanzleramt brachte, konnte sich hinterher an ein gutes Trinkgeld erinnern. Zuvor hatte Gauck den Anruf seines Lebens erhalten, im Taxi vom Flughafen Tegel in die Innenstadt, mit 72 Jahren. Die Kanzlerin war dran und sagte ihm, Union, SPD und FDP wollten ihn zum Bundespräsidenten wählen.

Damit war Gauck, der DDR-Pfarrer, der Bürgerrechtler, der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, der Gastredner und Buchautor am Ende eines lang gehegten Traums angekommen. Nachdem er 2010 als Kandidat von SPD und Grünen bei der Bundespräsidentenwahl durchgefallen war, wurde ihm das Amt knapp zwei Jahre später von der Kanzlerin am Telefon bei einer Taxifahrt dann doch angeboten.

Der Präsident, der sich vor seiner Amtszeit politisch selbst als "links, liberal, konservativ" verortet hat, wird morgen 75 Jahre alt. Präsident bleibt er noch zwei Jahre - mindestens. Ob er sich noch einmal zur Wahl stellt, darüber schweigt sich das Präsidialamt beharrlich aus. Die politische Konstellation im Frühjahr 2017 würde es aller Voraussicht nach hergeben, dass er noch einmal könnte, wenn er wollte.

Ermüdungserscheinungen zeigt er jedenfalls keine. Im Gegenteil: Er hat das Amt geprägt mit seinen Lebensthemen Freiheit und Verantwortung, seiner Vorliebe für offene Worte und seinem Ehrgeiz, ein Bürgerpräsident zu sein, der sich nicht gemein macht mit dem Volk. Er ist ein politisch agiler Präsident, einer mit Mission und Vision.

Allein im vergangenen Jahr zettelte er drei große gesellschaftspolitische Debatten an. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz mahnte er in seiner bisher wohl besten Rede, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernehmen müsse. Die Rede war auch ein Resultat seiner Reisen durch die Welt, wo er in allen Gesprächen mit der Frage konfrontiert wurde, was das ökonomisch starke und politisch mächtige Deutschland für die vielen Krisenherde in der Welt tue. Sein Vorstoß für mehr Verantwortung in der Welt war abgesprochen mit dem Außenminister und der Verteidigungsministerin, die eine solche stärkere Verantwortung in Aussicht stellten. Zum 75. Jahrestag des Überfalls der Deutschen auf Polen knöpfte er sich in einer Rede auf der Westerplatte die neuen territorialen Ansprüche Russlands vor. "Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern", sagte er in Richtung des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Für die Äußerung bekam er viel Applaus und viel harsche Kritik; so ist das oft bei Gauck. Und wenn er mal wieder einen wunden Punkt getroffen hat, geht auch gleich die Debatte los: Darf der das? Man mag diesen Kritikern entgegenrufen: Der muss sogar und kann nicht anders. Der hat ja keinen Einfluss außer der Macht der Worte. Im Fall der verbalen Offensive gegen Putin stellte manch einer auch die Frage, ob der in der DDR aufgewachsene Gauck, dessen Vater von den Russen verschleppt und über Jahre in einem Arbeitslager festgehalten worden war, möglicherweise noch eine Rechnung offen hat. Auf jeden Fall kann er emotional werden, wenn die Freiheit und das Recht auf Selbstbestimmung beschnitten zu werden drohen. Wie auch andere frühere DDR-Bürgerrechtler hadert er mit der Linkspartei.

Die Linken ihrerseits sind meistens diejenigen, die sich am lautesten über Gaucks Worte empören. Das galt auch für seine Fernsehinterview-Äußerung Anfang November, als sich die Wahl des ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei in Thüringen anbahnte. "Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren", sagte er damals. Und schon lief die dritte große Debatte des Jahres.

Während Gauck zu Beginn seiner Amtszeit die eine oder andere Diskussion nicht ganz freiwillig lostrat, sagt er mittlerweile: "Wenn ich auf den Gauck zu Beginn seiner Präsidentschaft gucke, denke ich: Er musste sich erst mal vorsichtig an das Amt herantasten." Inzwischen sei er nicht nur mit den Grenzen, sondern auch mit den Möglichkeiten des Amtes vertrauter, sagte er in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung". Er redet immer noch gerne frei. Wenn er weiß, dass seine Worte nicht öffentlich werden, ist er ausgesprochen locker.

Mit den Themen Freiheit und Verantwortung ist Gauck als Präsident gestartet. Während er vor seiner Amtszeit vor allem über die Verantwortung des Einzelnen sprach, stellt er nun die Verantwortung seines Landes in den Mittelpunkt. Dabei geht es nicht um eine Verengung auf militärische Einsatzbereitschaft. Gauck treibt beispielsweise auch die Flüchtlingsfrage um. Mehrfach mahnte er öffentlich an, dass Deutschland in dieser Frage mehr tun sollte.

Dass ein Präsident sich auch verantwortlich fühlt für den Zusammenhalt in einer Gesellschaft, versteht sich von selbst. Gauck steht bei diesem Thema vor besonderen Herausforderungen. Von Anfang an setzte er in der Integrationsfrage fort, was sein Vorgänger Christian Wulff ihm hinterlassen hatte.

Die Aufgabe ist mit dem Erscheinen der anti-islamischen "Pegida"-Bewegung und der erneuten Terrorbedrohung größer geworden. Seiner eigenen Sorge, dass mit den Anschlägen von Paris die vielen kleinen Fortschritte, die es in den vergangenen Jahren bei der Integration der Muslime gegeben hat, zunichte gemacht werden könnten, hielt er den hoffnungsvollen Satz entgegen: "Wir alle sind Deutschland."

Trotz der Enge des Protokolls und der Bürde, die auch mit dem Amt des Bundespräsidenten verbunden sind, gewinnt man in der p9ersönlichen Begegnung den Eindruck, dass dieser Präsident sein Amt genießt. Wahrscheinlich, dass er sich die Freiheit zur zweiten Amtszeit nimmt.

(qua)
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