Franziska Giffey im Porträt Jung, konservativ, Genossin

Berlin · Franziska Giffey wird Familienministerin und ist die größte Überraschung im neuen Kabinett. Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln weiß sich durchzusetzen. Ein Porträt.

 Die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey bei der Eröffnung einer sanierten Schultoilettenanlage in der Hans-Fallada-Schule. (Archiv)

Die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey bei der Eröffnung einer sanierten Schultoilettenanlage in der Hans-Fallada-Schule. (Archiv)

Foto: dpa, gam fpt

Ihr Name wurde im Willy-Brandt-Haus das erste Mal herumgereicht, als die SPD auf der Suche nach einem neuen Generalsekretär war. Kurz zuvor hatten die Sozialdemokraten die Wahl mit desaströsen 20,5 Prozent verloren und Hubertus Heil machte einen Rückzieher von dem wichtigen Posten in der Parteizentrale. Bald treffen sich Franziska Giffey und er wieder, und zwar am Kabinettstisch. Als künftige Bundesfamilienministerin ist sie für Frauen, Jugend und Senioren zuständig - Hubertus Heil für Arbeit und Soziales.

Warum die 39-Jährige schon seit Längerem für höhere Aufgaben in ihrer Partei gehandelt wurde, hat viele Gründe. Erstens übte Giffey bislang einen ungewöhnlichen Job aus und dies auch ungewöhnlich gut. Seit 2015 ist sie Bürgermeisterin im bekannten Berliner Stadtteil Neukölln. Sie übernahm das Amt von Heinz Buschkowsky, der durch seinen Klartext zur Integration in Talkshows bekannt wurde. Der langjährige Bürgermeister machte Giffey 2002 als damals 24-Jährige zur Europabeauftragten, 2010 folgte die Beförderung zur Schulstadträtin. Giffey arbeitete sich hoch.

Auf 45 Quadratkilometern leben in Neukölln 323.000 Menschen, so viele wie in Bonn oder Münster. Die Einwohner kommen aus 160 Nationen, das Straßenbild ist von unterschiedlichen Kulturen geprägt -mit allen schönen und abgründigen Facetten. In Neukölln gibt es viele Schulabbrecher, Kriminalität, Antisemitismus, auch Islamisten predigen dort. In Neukölln konzentriert sich Armut - aber auch menschliches Potenzial. Viele junge Kreative ziehen in den Bezirk, Wohnungen sind stark gefragt, die Immobilienpreise steigen.

Probleme offen ansprechen

Giffey hat sich in diesem Gemisch über die Jahre einen Namen gemacht. Als konsequent durchgreifende Frau, die Probleme anspricht, statt sie aus Angst vor möglichen negativen Folgen für das eigene Image zu verstecken. Große Mengen Müll auf der Straße und das Bezirksamt nicht zuständig? Giffey ließ privatwirtschaftliche Müll-Sheriffs die Vergehen der Anwohner filmen und bei Facebook veröffentlichen. Sie besuchte demonstrativ die Familien arabischer Clans, die mit Drogen- und Waffenhandel oder Prostitution Geld verdienen. Die verheiratete Mutter eines Sohnes installierte Sicherheitsdienste an Schulen und holte eine eigene Staatsanwaltschaft in den Kiez, damit dort Straftaten schneller verfolgt und geahndet werden. Sie bestand einst im Streit mit einer jungen Rechtsreferentin darauf, dass diese im Bürgerkontakt ihr Kopftuch abzulegen habe, von Fremden verlangt sie, dass diese der Bürgermeisterin die Hand geben. Zugleich setzte sich Giffey dafür ein, dass es auf Neuköllner Friedhöfen mehr Bestattungsflächen für Muslime geben müsse.

Bei all dem ließ die promovierte Verwaltungswissenschaftlerin keinen Zweifel an ihrem Antrieb: Ein Staat muss Regeln setzen, die es zwingend einzuhalten gilt. Nur dann kann das Zusammenleben auch in so komplizierten Milieus wie in Neukölln gelingen.

Ein zweiter Grund für Giffeys Blitzkarriere aus der Bezirks- in die Bundespolitik ist, dass sie einen derzeit gefragten Mix sozialdemokratischer Werte vertritt. Sie setzt sich für den Kampf gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit ein, ist Fremden gegenüber offen und zieht dennoch klare Grenzen. Giffey, so wurde in sozialen Netzwerken bereits gescherzt, sei fast zu konservativ für das neue Kabinett Merkel. Während beispielsweise in den 70er Jahren ein Doppelname fast zum guten Ton bei Sozialdemokraten gehörte, sagte Giffey vor einigen Jahren dazu: "Ich finde wenn man eine Familie gründet, ist es auch ein klares Signal zu sagen, wir haben einen gemeinsamen Namen. Das war für mich immer klar und ich habe das auch nicht bereut."

Lebenserfahrung aus dem Osten?

Ein dritter, durchaus wesentlicher Grund für ihre Beförderung - da darf auch sie sich nichts vormachen - ist ihre Herkunft. Giffey erfüllt, neben all den beschriebenen positiven Eigenschaften, die benötigte "Ossi-Quote". Geboren wurde sie in Frankfurt (Oder), Abitur machte sie in Fürstenwalde an der Spree. Eigentlich wollte Giffey Lehrerin werden, eine ärztlich diagnostizierte Kehlkopfschwäche verhinderte das. Kritiker warfen ihr während der vergangenen Tage vor, auch keine wirkliche Lebenserfahrung aus dem Osten mitzubringen. Neukölln ist eben nicht Sachsen. Doch Giffey steht darüber.

Die Tante des Basketball-Nationalspielers Niels Giffey zog gestern vor der Bundestagsfraktion erste Umrisse ihrer politischen Agenda im Ministerium. Sie habe als Bürgermeisterin gesehen, "wie schwierig das ist, wenn Kinder eben in Bildungsferne, in Armut aufwachsen". Diese Erfahrung wolle sie auf die nationale Ebene übertragen. "Für mich ist wichtig, dass die Kinder, die in unserem Land groß werden, egal welche Herkunft sie haben und ob die Eltern arm oder reich sind, einen guten Weg machen können. Dass sie die Schule abschließen und dass sie es schaffen, auf eigenen Beinen zu stehen", sagte Giffey - und fügte beinahe pflichtschuldig hinzu: Sie gehe davon aus, in ihrer neuen Rolle als einzige Bundesministerin aus Ostdeutschland auch die Interessen der Ostdeutschen vertreten zu können. Giffey ist mehr als Quote.

(jd)
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