Spitzentreffen im Kanzleramt Koalitionsspitzen sprechen über alles - außer über Flüchtlinge

Berlin · Die Parteichefs der großen Koalition haben sich auf einen Fahrplan zur Lösung der in der Regierung strittigen Sachthemen geeinigt, den Flüchtlingsstreit aber ausgeklammert.

 Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Parteivorsitzenden Horst Seehofer (CSU, rechts), Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) halten am 16.12.2013 den unterzeichneten Koalitionsvertrag der Großen Koalition in den Händen.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Parteivorsitzenden Horst Seehofer (CSU, rechts), Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) halten am 16.12.2013 den unterzeichneten Koalitionsvertrag der Großen Koalition in den Händen.

Foto: dpa

Es habe Übereinstimmung gegeben, die strittigen Punkte etwa bei der Erbschaftsteuer, der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen sowie der Angleichung von Ost-West-Renten in den kommenden Wochen zu lösen, hieß es nach den zweistündigen Verhandlungen der Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) aus Teilnehmerkreisen. Die Gesprächsatmosphäre wurde als konstruktiv beschrieben.

Die Vorsitzenden der Koalitionsparteien wollen sich demnach Anfang Oktober zu einem weiteren Spitzengespräch treffen, bei dem dann mögliche Entscheidungen getroffen werden könnten. Bis dahin sollen die Fachpolitiker weiter nach Lösungen suchen. Gemeinsam wollen die Koalitionäre auch versuchen, die Hürden bei der Einstufung von weiteren Maghreb-Ländern als sichere Drittstaaten beiseite zu räumen. Bei den meisten Themen ist jedoch auch die Zustimmung der Ländermehrheit notwendig.

In dem Gespräch zwischen Merkel, Seehofer und Gabriel habe der Flüchtlingsstreit keine Rolle gespielt, hieß es aus anderen Teilnehmerkreisen.

Merkel und Seehofer hatten am Sonntag zunächst knapp zwei Stunden allein beraten. Sie dürften auch darüber geredet haben, wie sie ihre erbitterte Auseinandersetzung in der Flüchtlingspolitik entschärfen können. Seehofer hält Merkels Kurs für falsch - sie lehnt die vom bayerischen Ministerpräsidenten verlangte Festlegung auf eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr strikt ab.

Zuvor waren die unionsinternen Streitereien und die Attacken aus der SPD auf die Union allerdings weitergegangen.

Seehofer sagte am Samstag nach einer CSU-Klausur im oberpfälzischen Schwarzenfeld, er wolle zwar Gemeinsamkeit mit der CDU. "Aber nicht um den Preis, dass wir politische Inhalte der CSU opfern." Zur CSU-Forderung nach einer gesetzlich festgelegten Obergrenze sagte er: "Sie wissen, dass das für uns ein ganz wichtiger Punkt ist, auch für die eigene Glaubwürdigkeit." Rufe nach rhetorischer Mäßigung - auch von Merkel - wies er zurück: "Seit wann ist eine klare Formulierung in der Politik mäßigungsbedürftig?"

Der CSU-Chef sagte der "Bild am Sonntag": "Die Union kommt aus dem Verlierermodus nur heraus, wenn wir eine klare Antwort geben, wie wir die Zuwanderung begrenzen wollen." Zugleich zeigte er sich optimistisch: "Wir werden uns mit gutem Willen auch bei diesen kontroversen Fragen in nächster Zeit verständigen."

CDU-Generalsekretär Peter Tauber mahnte: "Wir sollten den Eindruck vermeiden, dass wir völlig gegensätzliche Vorstellungen haben." In der "Welt am Sonntag" ergänzte er: "Die CSU geht in einigen Punkten vielleicht weiter als wir - aber wir gehen in die gleiche Richtung." CDU-Vize Thomas Strobl warnte: "Nichts schadet CDU und CSU so sehr wie ein Streit unter den Unionsschwestern." In der Flüchtlingskrise sei es "fahrlässig so zu tun", als zeigten die beschlossenen Maßnahmen keine Wirkung, kritisierte Strobl im Interview der Funke-Mediengruppe. "Scheindebatten über Randthemen sind kübelweise Wasser auf die AfD-Mühle."

Gabriel schrieb laut "Bild am Sonntag" an Merkel und Seehofer: "Wir müssen den Beweis antreten, dass die Koalition den Willen und die Kraft aufbringt, den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft zu festigen." Zu einem von ihm vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Plan zählen ein rascher Kabinettsbeschluss über das Gesetz für Lohngerechtigkeit, eine zügige Einigung bei der Reform der Erbschaftssteuer, die Angleichung der Renten in Ost und West aus Steuermitteln, die Einführung der Lebensleistungsrente, die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und eine erneute Mietrechtsreform.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte der "Welt": "Ich rate der Union dringend, zur Sacharbeit zurückzukehren - statt permanent folgenlose Symboldebatten zu führen." Er forderte die Union auf, gemeinsam mit der SPD ein Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen. "Der Bundestag sollte jedes Jahr die Quote für die Einwanderung festlegen, so dass es ein politisch legitimierter und kontrollierter Prozess ist", sagte Oppermann.

CSU-Chef Horst Seehofer wäre laut einer Umfrage nach Einschätzung von 42 Prozent der Befragten der erfolgreichere Unions-Kanzlerkandidat als Angela Merkel. Allerdings nicht nach Ansicht der Mehrheit: 52 Prozent geben der CDU-Chefin und Amtsinhaberin mehr Chancen im Bundestagswahlkampf, wie die Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag der "Welt am Sonntag" ergab.

(felt/dpa/AFP)
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