SPD-Generalsekretärin Katarina Barley „Merkels Teflonschicht ist angekratzt“

Berlin · SPD-Generalsekretärin Katarina Barley hält Bundeskanzlerin Angela Merkel für angeschlagen und in der Union für nur noch begrenzt durchsetzungsfähig. Eine Neuauflage der großen Koalition nach der Bundestagswahl 2017 hat für die SPD "keine Präferenz" mehr.

 Katarina Barley sagt, sie wisse nicht, wofür die CDU momentan steht.

Katarina Barley sagt, sie wisse nicht, wofür die CDU momentan steht.

Foto: dpa

Frau Barley, die große Koalition gibt seit Monaten ein reichlich desolates Bild ab. Ist die Union für Sie überhaupt noch koalitionsfähig?

Barley Das Problem liegt doch darin, dass sich CDU und CSU seit Monaten streiten wie die Kesselflicker. Die reden nicht mal mehr über Inhalte, wie das Beispiel Erbschaftsteuer zeigt. Dass die deutsche Regierung trotzdem handlungsfähig ist, liegt einzig an der SPD. Wir wollen auch die restlichen Projekte aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Manchmal habe ich Zweifel, ob CDU und CSU überhaupt noch regierungswillig sind.

Welchen Hebel haben Sie denn in der Hand, um die Union zu bewegen?

Barley Genau das ist bisher die größte Schwierigkeit in diesem Bündnis gewesen: CDU und CSU sitzen immer nur da und blockieren unsere Ideen. Wir sind durchsetzungsstark und haben den Koalitionsvertrag gestaltet. Aber wir können ja nicht hexen. Die Union hat nichts, was sie wirklich selbst will. Nennen Sie mir doch mal ein Projekt von CDU und CSU der vergangenen Monate...

... keine Steuererhöhungen.

Barley Das ist doch kein Vorhaben. Aber ich will fair sein, die CSU hatte immerhin noch die Ausländermaut und das Betreuungsgeld. Wie erfolgreich diese beiden Projekte letztendlich waren, weiß inzwischen jedes Kind. Nämlich überhaupt nicht.

Ist die große Koalition am Ende?

Barley Nein. Aber die Idee, dass wir die Vermittlerin zwischen CDU und CSU spielen sollen, ist doch absurd. Wir wollen die noch offenen Vorhaben umsetzen. Die Angleichung der Ost-West-Renten, die Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, die Stärkung von Alleinerziehenden, all das liegt auf dem Tisch. Und wir erwarten, dass diese Dinge auch kommen.

Und danach? Bleibt die Union ein möglicher Koalitionspartner der SPD in den kommenden Jahren?

Barley Wir stellen zumindest fest, dass der Laden Angela Merkel im Moment heftig um die Ohren fliegt. Und um Ihre Frage beantworten zu können, müsste ich einschätzen, wie sie ihn wieder in den Griff bekommen will. Ich sehe derzeit aber kein Rezept dafür. Und ich bin mittlerweile pessimistisch, dass sich Merkel und Seehofer bei einer weiteren Runde im Kanzleramt einfach wieder vertragen könnten.

Angenommen, die schaffen das. Kämen Sie mit CDU und CSU bei den Inhalten noch einmal überein?

Barley Ich meine das ernst: Ich weiß einfach nicht, wofür die CDU im Moment steht. Hinter der Fassade gibt es weder thematisch noch personell viel zu bieten. Deswegen sehe ich in einer Fortsetzung der großen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl keine Präferenz für uns.

Liegt das auch daran, dass sie sich eine große Koalition ohne Angela Merkel nicht vorstellen können?

Barley Merkels Teflonschicht ist angekratzt. Kritik, Fehler und Probleme perlen nicht mehr so wie früher an ihr ab. Die CDU ist das nicht gewohnt und schon herrscht nackte Panik. Das merkt man doch deutlich an dem teils aggressiven Umgangston selbst unter Kollegen der Union.

Also hoffen Sie auf Rot-Rot-Grün?

Barley Seit den Landtagswahlen vom 13. März halte ich mich mit Koalitionsaussagen bewusst zurück. Damals hat niemand korrekt vorhersagen können, wie die politischen Konstellationen am Ende aussehen würden.

Eine Sache, die die Union durchsetzen will, ist das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA.

Barley Dafür tun sie aber herzlich wenig.

Ihr Parteichef Sigmar Gabriel hat die Verhandlungen bereits für tot erklärt, um den linken SPD-Flügel bei dem Abkommen mit Kanada, Ceta, zu besänftigen.

Barley Das ist nun wirklich Unfug. Ich sage Ihnen, wie es ist: Die SPD ist die einzige Partei, die sich ernsthaft dafür eingesetzt hat, TTIP zu verbessern. CDU und CSU wollen das Abkommen mit seinen schwerwiegenden Folgen wie den privaten Schiedsgerichten, der Abkehr von unserem Vorsorgeprinzip für sichere Produkte und ohne echten Marktzugang in den USA einfach unterschrieben. Bei den Verhandlungen liegen die Positionen von uns Europäern und den Amerikaner an den jeweils anderen Enden der Galaxie. Die Verhandlungen sind total festgefahren. TTIP in seiner jetzigen Form ist tot. Wenn man bei dem Thema noch etwas bewegen will, muss man einen kompletten Neustart machen.

Und wie könnte der konkret aussehen?

Barley Wir sollten die Wahlen in den USA abwarten und dann mit der neuen Regierung ausloten, was überhaupt politisch machbar ist. In Kanada haben wir die Erfahrung gemacht, dass man mit einer neuen Regierung gute Fortschritte erreichen kann. Das Abkommen Ceta entspricht ja bereits in weiten Teilen unseren Vorstellungen.

Am Montag muss sich Gabriel beim SPD-Konvent einer Abstimmung zu Ceta stellen. Warum macht er das?

Barley Wir sind die einzige Partei, die sowohl Verantwortung für unsere Exportnation übernimmt, als auch den Erhalt unserer hohen Standards im Blick hat. Wir wollen Ceta besser machen. Dafür ist es wichtig, dass das Abkommen jetzt in die Parlamente geht, damit wir weitere Verbesserungen umsetzen können. Dafür bedarf es eines entsprechenden Votums des Ministerrats. Es wird dann Zusatzprotokolle mit Änderungen geben, die sich viele in unserer Partei wünschen. Ich kann mir im Übrigen auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich die Union am Ende unseren Änderungswünschen bei Ceta im Bundestag verweigert.

Warum bringt die SPD mit ihrem Pro-Ceta-Kurs die Gewerkschaften gegen sich auf?

Barley Das ist ja nicht so. DGB-Chef Rainer Hoffmann wird auf dem SPD-Konvent sprechen. Der DGB-Demo-Aufruf gegen Ceta liegt schon Monate zurück. Ceta ist ein Abkommen, das sich ständig gewandelt hat. Wir haben mit den Gewerkschaften eng zusammen gearbeitet, um zu formulieren, was wir an Ceta noch geändert haben wollen. Gewerkschaften wie die IG BCE und die IG Metall haben sich bei dem Thema ganz klar hinter den Kurs der SPD gestellt.

In Berlin wollen SPD, Grüne und Linke ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl am Sonntag eingehen. Wäre das ein Signal für den Bund?

Barley Das ist Sache der Berliner Landesparteien. Die Berliner vertrauen Michael Müller als Regierendem Bürgermeister. Er steht dafür, dass Berlin eine weltoffene, vielfältige Stadt bleibt.

… die aber ihre Verwaltung bei der Flüchtlingsversorgung nicht im Griff hat…

Barley Das lief so lange schlecht, wie es Innensenator Henkel von der CDU zu verantworten hatte. Seit Müller es zur Chefsache gemacht hat, hat sich verdammt viel zum Guten verändert. Ich war neulich von Merkels Kritik an Michael Müller ziemlich irritiert. Ihre Parteifreunde Henkel und Czaja hatten es total verbockt, das war an Unfähigkeit nicht zu überbieten. Das Merkel selbst solche harten Worte wählt, zeigt, unter welchem Druck sie nach der krachenden Wahlniederlage in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen in ihrer eigenen Partei steht. Sollte die CDU am Sonntag in Berlin wieder unter 20 % landen, könnte das zu einem ernsthaften Problem für sie werden.

Was bedeutet die Berlin-Wahl für die Bundespräsidentenwahl?

Barley Gar nichts. Selten war aber eine Bundespräsidentenwahl so wichtig wie diese. Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik droht unsere Gesellschaft gespalten zu werden. Deshalb brauchen wir eine Persönlichkeit, die glaubhaft für Zusammenhalt und Vernunft steht. Es wäre gut, wenn sich möglichst viele Parteien auf diese eine Persönlichkeit einigen könnten.

Wäre es aus Sicht der SPD nicht strategisch richtig, einen rot-rot-grünen Kandidaten durchzusetzen?

Barley Ganz ehrlich: Diese Präsidentenwahl ist viel zu wichtig, um damit Parteipolitik zu betreiben. Es geht um nicht weniger als den Zusammenhalt in unserem Land.

Das Gespräch führten Jan Drebes und Birgit Marschall.

(mar / jd)
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