Sozialexperte Jürgen Borchert Kindererziehung soll besser bezahlt werden

Berlin (RP). Der aktuelle Streit um die Familienpolitik ist nach Ansicht des Sozialexperten Jürgen Borchert "konfus" und führt an den Kernproblemen vorbei. "Man muss zunächst andere Probleme lösen, bevor man sich mit dieser Begeisterung auf die Krippenfrage stürzt", sagte er unserer Redaktion.

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Foto: AP

Die Regierung habe es bisher versäumt, erst einmal die Befunde sauber zu erheben. "Der Befund ist die Tatsache, dass sich in Deutschland innerhalb von 40 Jahren die Geburtenzahlen halbiert haben und sich der Anteil der Kinder in Armut alle zehn Jahre verdoppelt." Eine Facharbeiterfamilie mit zwei Kindern lebe heute unterhalb des Existenzminimums. Die Eltern könnten ihre Kinder aus dem selbst erwirtschafteten Einkommen überhaupt nicht mehr in Freiheit und Eigenverantwortung groß ziehen.

Strukturen korrigieren

"Wir reden in Deutschland immer über Familienförderung und wollen nicht sehen, dass zunächst einmal die Familien benachteiligenden Strukturen zu korrigieren sind." Nach Ansicht des Sozialexperten müssen dafür in der Familienpolitik an erster Stelle die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt werden.

Borchert verwies auf das so genannte Trümmerfrauenurteil von 1992 und das Pflegeurteil von 2001. Karlsruhe habe klargestellt: "Die Kindererziehung ist für die Sozialsysteme, die zwischen den Generationen verteilen, ein Beitrag, der nicht geringer einzuschätzen ist als der Geldbeitrag." Die Politik weigere sich stur, diesen Verfassungsgerichtsurteilen Rechnung zu tragen.

Borchert mahnte weiterhin an, dass die Belastung durch die Verbrauchssteuern, die in den vergangenen Jahren rasant zugenommen habe, für Familien ausgeglichen werden müsse. Dazu gebe es einen Verfassungsgerichtsbeschluss aus dem Jahr 1999, der sich auf die Mehrwertsteuererhöhung von 1998 bezog.

Seitdem seien Ökosteuer, Mineralölsteuererhöhungen und die Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent hinzugekommen. "Der Gesetzgeber hat bei keiner einzigen Steuererhöhung entsprechend den Weisungen aus Karlsruhe die Familien entlastet."

(RP)
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