Günter Grass verteidigt Israel-Gedicht Klarsfeld zieht Vergleich zu Hitler-Rede

Die Kritik am Israel-Gedicht von Günter Grass verstummt nicht. Vom israelischen Regierungschef Netanjahu bis zur Nazi-Jägerin Klarsfeld reicht die Entrüstung. Der Autor verteidigt sich: Er habe vor einem Dritten Weltkrieg warnen wollen. Widerrufen werde er auf keinen Fall.

 Beate Klarsfeld vergleicht das Gedicht von Günter Grass mit einer Drohrede von Adolf Hitler.

Beate Klarsfeld vergleicht das Gedicht von Günter Grass mit einer Drohrede von Adolf Hitler.

Foto: dpa, Maurizio Gambarini

Mit einem Verweis auf Adolf Hitler hat Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld den Literaturnobelpreisträger Günter Grass wegen dessen Kritik an Israel attackiert. In einer Mitteilung am Freitag zitierte Klarsfeld aus einer Drohrede, die Hitler 1939 gegen "das internationale Finanzjudentum" gehalten habe.

Sie fuhr fort, wenn man den Ausdruck "das internationale Finanzjudentum" durch "Israel" ersetze, "dann werden wir von dem Blechtrommelspieler (Anm.: gemeint ist Grass) die gleiche antisemitische Musik hören".

Grass hatte in dem Gedicht "Was gesagt werden muss" Israel vorgeworfen, als Atommacht den Weltfrieden zu gefährden. "Wenn Grass sich mit seiner magischen Brille im Spiegel anblickt, sieht er heute den Literaturnobelpreisträger oder einen alten Waffen-SS?", schrieb Klarsfeld.

"Drohungen ernst nehmen"

Grass hatte erst 2006 in seinen Memoiren öffentlich gemacht, dass er als Jugendlicher Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Klarsfeld betonte, der Iran drohe ständig damit, den Staat Israel auslöschen zu wollen, und arbeite an der Entwicklung einer Atombombe.

"Der jüdische Staat ist verpflichtet, diese Drohungen Ernst zu nehmen. Nachdem gleiche Drohungen gegen neun Millionen europäische Juden ausgesprochen wurden, hat Nazi-Deutschland es nicht geschafft, Zweidrittel von ihnen zu vernichten?" Klarsfeld war bei der Bundespräsidentenwahl im März für die Linke gegen Joachim Gauck angetreten.

Weltberühmt wurde sie durch eine Ohrfeige, die sie 1968 dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wegen dessen NS-Vergangenheit verpasste. In Frankreich und Israel wurde die Publizistin, die seit einem halben Jahrhundert in Paris lebt, für die Verfolgung von NS-Verbrechen mit Auszeichnungen überschüttet. In Deutschland galt sie lange als Nestbeschmutzerin.

"Mein Ruf für alle Zeit geschädigt"

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einer schändlichen Gleichstellung Israels mit dem Iran. "Der Tenor durchgehend ist, sich bloß nicht auf den Inhalt des Gedichtes einlassen, sondern eine Kampagne gegen mich zu führen und zu behaupten, mein Ruf sei für alle Zeit geschädigt", sagte Grass in einem NDR-Interview.

"Widerrufen werde ich auf keinen Fall", ergänzte er im Interview des TV-Magazins "Kulturzeit" (3sat) und fügte hinzu: "Eine derart massive Verurteilung bis hin zum Vorwurf des Antisemitismus ist von einer verletzenden Gehässigkeit ohnegleichen."

Es handle sich um eine Fortsetzung jener persönlichen Anfeindungen, die er bereits 2006 nach dem Erscheinen seines autobiografischen Buches "Beim Häuten der Zwiebel" erfahren habe, sagte er der dpa.

Explosive Lage im Nahen Osten

Im dpa-Gespräch verwies der Schriftsteller auf die explosive Lage im Nahen Osten, die sich bei einem Präventivschlag Israels zu einem Flächenbrand ausweiten könne. Präventivschläge seien nicht vertretbar.

Dem Iran sei bisher keine Atombombe oder ein weitreichendes Raketenträgersystem nachgewiesen worden. Als Fehler bezeichnete es der Autor, dass in seinem Gedicht von Israel und nicht konkret von Israels Regierung die Rede sei. Er hege große Sympathien für das Land und wünsche, dass es auch in Zukunft Bestand habe.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu reagierte mit scharfen Worten. "Die schändliche Gleichstellung Israels mit dem Iran, einem Regime, das den Holocaust leugnet und damit droht, Israel zu vernichten, sagt wenig über Israel, aber viel über Herrn Grass aus", hieß es in einer Mitteilung seines Büros.

Keine offiziellen Äußerungen vom Iran

Im Iran gab es keine offiziellen Äußerungen. Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA lobte Grass wegen "eines Tabubruchs in einem Land, wo die Politik und Taten des zionistischen Regimes (Anm.: Israel) ohne Wenn und Aber unterstützt werden".

Beistand erhielt Grass vom Präsidenten der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck. In einem freien Land müsse auch scharfe Kritik "unter Freunden" möglich sein, "ohne reflexhaft jetzt als Antisemit verdächtigt zu werden", sagte Staeck im Deutschlandradio Kultur.

Der israelische Historiker Tom Segev sagte der dpa, Grass sei in der Frage, mit der er sich in dem Gedicht beschäftige, ganz offenbar inkompetent. Er wisse absolut nichts über den Konflikt mit dem Iran. Der israelische Schriftsteller Eli Amir warf Grass im Nachrichtenmagazin "Focus" vor, Hass zu säen.

"Machwerk des Ressentiments"

Der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer, Mathias Döpfner, schrieb in der "Bild"-Zeitung, Grass verbreite im raunenden Ton des Moralisten politisch korrekten Antisemitismus. Er versuche die Schuld der Deutschen am Holocaust zu relativieren, indem er die Juden zu Tätern mache.

Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Frank Schirrmacher, nannte das Gedicht ein "Machwerk des Ressentiments" und ein "Dokument der Rache". Im Gegenzug warf Grass einem Teil der deutschen Presse, insbesondere dem Springer-Konzern, Hass und ein gleichgeschaltetes Verhalten vor.

In internationalen Medien wurde Grass ebenfalls meist scharf angegriffen - vor allem wegen seiner Vergangenheit als Mitglied der Waffen-SS. Die niederländische Zeitung "de Volkskrant" fragte: "Günter Grass war Mitglied der Waffen-SS. Ist er eine geeignete Person, solcherart Gedichte zu schreiben?"

(dpa)
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