Chef der Innenministerkonferenz im Interview "Die aktuellen Gesetze reichen nicht"

Berlin · Mit der Forderung nach Gesetzesverschärfungen hat der Vorsitzende der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern, der CDU-Politiker Klaus Bouillon (Saarland), auf den Terroranschlag von Berlin reagiert.

 Klaus Bouillon (CDU) auf einer Pressekonferenz (Archiv).

Klaus Bouillon (CDU) auf einer Pressekonferenz (Archiv).

Foto: dpa, odietze pzi rho

Er kündigte zugleich eine deutlichere Polizeipräsenz an Weihnachtsmärkten an. "An den Haupteingängen werden wir auch die Streifenwagen querstellen, um deutlich zu zeigen: Hier steht der Staat", sagte er unserer Redaktion.

Herr Bouillon,welche Konsequenzen folgen aus dem Terroranschlag?

Bouillon Wir werden die Präsenz bei den Weihnachtsmärkten nochmals aufstocken. Wir werden die Polizisten mit Maschinenpistolen ausstatten und die technischen Möglichkeiten vor Ort abklären, wie wir die Zugangswege versperren können. Das ginge etwa mit Betonklötzen. Das müssen jetzt die Bürgermeister über die Sicherheitskonzepte mit den Veranstaltern machen. An den Haupteingängen werden wir auch die Streifenwagen querstellen, um deutlich zu zeigen: Hier steht der Staat.

Hätte man das in Berlin am Breitscheidplatz auch schon machen sollen?

Bouillon Im Nachhinein ist das immer einfach zu sagen. Berlin hat 65 Märkte. Zukünftig wird man das sicherlich zu beachten haben. In der Praxis ist das nicht immer so leicht zu realisieren.

Kann man in den nächsten Tagen noch unbeschwert auf Weihnachtsmärkte gehen?

Bouillon Wir müssen alle das gesellschaftliche Leben weiterführen. Ob das immer ganz unbeschwert ist, wird auf den Einzelnen ankommen. Natürlich werden manche auch ein ungutes Gefühl haben. Das ist ja nicht nur beim Weihnachtsmarkt so. Wenn wir uns die zurückliegenden Terrorziele anschauen: Mal ist es ein Zug, mal eine S-Bahn, mal eine U-Bahn, mal ein Bahnhof, mal ein Flughafen. Im Grunde sind wir alle in einer Gefährdungssituation in Auseinandersetzungen mit den Terroristen. Darauf müssen wir uns leider Gottes einstellen.

Muss bei der Informationsgewinnung über potenzielle Täter nachgearbeitet werden?

Bouillon Die Speerspitze unseres Staates sind zur Zeit die Nachrichtendienste und der Verfassungsschutz. Deren Mitarbeiter hat man in Deutschland jahrelang verteufelt. Aber ohne Informationen tappen wir im Dunkeln. Wir haben rund 500 Gefährder auf dem Schirm. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht, ob es mehr sind.

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Foto: afp

Müssen sich die Behörden alle Flüchtlinge noch einmal anschauen?

Bouillon Nicht alle. Wir haben hier im Saarland viele Syrer. Bei ihnen liegt die Anerkennungsquote über 95 Prozent. Die haben Papiere vorgelegt, sind mit Kindern hier, haben eine Arbeit, die muss man nicht alle noch einmal überprüfen. Aber dort, wo Anhaltspunkte bestehen, haben die Länder mit der Überprüfung bereits begonnen. Besonders dort, wo es Hinweise aus der Bevölkerung, aus den Lagern, von den Nachrichtendiensten gibt.

Von wie vielen potenziellen Fällen sprechen Sie?

Bouillon Es gibt bundesweit zahlreiche Flüchtlinge, von denen wir nicht wissen, wo sie herkommen und wie sie heißen. Da ist ein Unsicherheitspotenzial drin. Genau hier wird jetzt nachgeprüft. Die Identität ist oft gefälscht, die Pässe sind verschwunden, und dann weigern sie sich auch noch, an der Überprüfung mitzuwirken. Da brauchen wir sicherlich noch Gesetzesänderungen.

Mit welchem Ziel?

Bouillon Wer hier einen Asylantrag stellt und an seiner Identitätsfeststellung nicht mitwirkt, muss seinen Anspruch auf Asyl verlieren. Das müssen wir klarstellen, und dazu werde ich im Januar Vorschläge unterbreiten.

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Foto: afp

Sehen Sie weiteren Änderungsbedarf?

Bouillon Ja, eindeutig. Alle unsere Gesetze beruhen darauf, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg eine Geschichte zu verarbeiten hatten. Daher rührt zum Beispiel auch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Das müssen wir jetzt mal vorurteilsfrei diskutieren. Dazu gehören auch die technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden. Es kann doch nicht sein, dass mit Whatsapp Firmen Milliardäre werden, Verbrecher sich verabreden, junge Menschen anleiten — und unsere Behörden vor einem Rätsel stehen, weil ihnen der Verschlüsselungscode nicht zur Verfügung gestellt wird. Der Staat muss sich auf die Herausforderungen einstellen, an die vor zehn, 15 Jahren keiner gedacht hat.

Gregor Mayntz führte das Interview

(may-)
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