Ärger um ermäßigte Sätze Koalition will Mehrwertsteuer-Chaos ordnen

Düsseldorf (RPO). Für Tierfutter gilt er, für Babynahrung hingegen nicht: Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz sorgt immer wieder für Kopfschütteln. Erst im letzten Jahr zog sich die Koalition mit der Steuerermäßigung auf Hotelübernachtungen den Zorn der Bürger zu. Jetzt wollen Union und FDP den großen Wurf wagen: Der Mehrwertsteuer-Dschungel soll endlich gelichtet werden. An einer echten Reform war zuletzt Hans Eichel gescheitert.

In diesen Fällen ist die Mehrwertsteuer ermäßigt
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In diesen Fällen ist die Mehrwertsteuer ermäßigt

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Foto: AP

Der Unterschied zwischen Esel und Maultier ist in Deutschland nicht nur ein biologischer. Für die beiden Tiere werden in der Bundesrepublik beim Kauf unterschiedliche Mehrwertsteuersätze fällig. Mit solchen Unsinnigkeiten könnte bald Schluss sein, falls die Schwarz-Gelb mit dem Vorhaben Ernst macht. "Die Koalition wird die Mehrwertsteuer einer Revision unterziehen", sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner der "Passauer Neuen Presse".

Auf Blumen und künstliche Gelenke wird in Deutschland nur der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent fällig. Dieser Rabatt war eigentlich gedacht, um Gegenstände des täglichen Bedarfs, den öffentlichen Nahverkehr und Kulturgüter für breite Bevölkerungsschichten finanzierbar zu halten.

Doch der Dschungel von Ausnahmen und versteckten Subventionen ist nicht mehr zu durchblicken - und lädt zum Missbrauch ein. Wer seine Mahlzeit in einem Imbiss zum Mitnehmen bestellt, muss den geringeren Satz zahlen. Fälle, in denen Gastronomen 100 Prozent Außenumsatz gegenüber dem Finanzamt angaben, sind bereits vorgekommen.

Im letzten Jahr hatte die Koalition noch die umstrittene Ermäßigung auf Hotelübernachtungen durchgeboxt. Lindner bekräftigte, dass er die auf Drängen der FDP und CSU beschlossene Reduzierung nachträglich für einen Fehler halte. Eine solche Maßnahme hätte nicht isoliert gemacht werden dürfen. Solche Fälle hat es in der Vergangenheit aber immer wieder gegeben, erst 2008 hatte die Große Koalition den ermäßigten Steuersatz für Sessellifte eingeführt. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Lobbygruppen immer wieder einzelne Vergünstigungen durchgesetzt.

Zumindest bei der Causa Steuermäßigungen für Hotels befindet sich die Koalition auf dem Rückzug. Nach den Mittelstandspolitikern plädieren auch die Finanzpolitiker der Unionsfraktion für die Rücknahme des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Hotels. "Unser Ziel muss es sein, die ermäßigten Mehrwertsteuersätze auf den Bereich der Daseinsvorsorge, also auf Lebessmittel, ÖPNV und Kultur zu beschränken. Die dabei entstehenden Mehreinnahmen, zum Beispiel durch die Streichung des Hotelprivilegs, sollten wir dann eins zu eins den unteren und mittleren Einkommen zurückgeben", sagte der finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Leo Dautzenberg, unserer Redaktion. "Nirgends ist der Steuerdschungel so dicht wie bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen", so Dautzenberg. "Deshalb müssen wir da jetzt entschlossen rangehen."

Wo genau die Koalition den Rotstift nun ansetzen will, ist noch nicht bekannt. Von den Betroffenen ist jedenfalls Widerstand zu erwarten. Floristen würden über einen Wegfall der Vergünstigung sicherlich nicht erfreut sein. Beim Tierfutter machen Tierbesitzer Ärger. Für Babynahrung hingegen wird der volle Satz fällig. Aber: Am Ende könnte sich der Bund vielleicht sogar auf Mehreinnahmen freuen, denn er verzichtet jährlich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Immerhin ist die Mehrwertsteuer die wichtigste Steuer. Hierüber werden rund 30 Prozent der Einnahmen generiert.

Einen einheitlichen Satz wird es aber wohl nicht geben, wie Lindner erklärte. Am Wochenende war ein Gutachten bekannt geworden, das Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bei der Universität Saarbrücken in Auftrag gegeben hat. Die Wissenschaftler plädieren darin nach "Spiegel"-Informationen für die komplette Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes - etwa für Lebensmittel, Bücher und Theaterkarten. Im Gegenzug solle ein einheitlicher Satz von weniger als 19 Prozent festgelegt werden. Als Begründung hätten die Wissenschaftler angeführt, dass der ermäßigte Steuersatz kaum Lenkungswirkung erziele. Andererseits würde Geringverdiener die Streichung des ermäßigten Satzes gerade für Lebensmittel besonders stark treffen.

Da die Vorschläge dem Ministerium zu weitgehend und "politisch zu heikel" gewesen seien, hätten die Beamten die Expertise zur Überarbeitung zurückgehen lassen, berichtete das Magazin weiter. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, er könne sich inhaltlich zu dem Gutachten nicht äußern, da dieses noch nicht abschließend vorliege. Beide Seiten hätten sich zu Verschwiegenheit verpflichtet. Das Ministerium rechne aber damit, dass das Gutachten bis Ende des Monats abgenommen werden könnte. Die Untersuchung werde eine wichtige Grundlage für die Empfehlungen von Schäuble zur Reform der Mehrwertsteuersätze bilden, sagte der Sprecher.

Das Thema soll nun beim nächsten Koalitionsausschuss ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Dabei werde es darum gehen, welche Ausnahmen letztlich gestrichen werden. Der damalige SPD-Finanzminister Hans Eichel hatte 2003 eine große Reform geplant, konnte sie am Ende aber nicht durchsetzen. Der Druck der Lobbyisten war einfach zu groß.

(Reuters/ndi)
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