Fragen und Antworten Was passiert, wenn wir die Grenzen wieder schließen?

Berlin · Die von Österreich ausgerufene Obergrenze für Flüchtlinge wirft Fragen nach der Machbarkeit und den politischen und wirtschaftlichen Folgen von Grenzschließungen auf. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 Könnte die Polizei die Grenze überhaupt völlig abriegeln? Momentan nicht, sagen Experten.

Könnte die Polizei die Grenze überhaupt völlig abriegeln? Momentan nicht, sagen Experten.

Foto: dpa, awe tba cul wst

Was wären die unmittelbaren Auswirkungen einer Grenzschließung in Österreich?

Schon die österreichische Ankündigung, künftig möglicherweise Flüchtlinge zurückzuweisen, hat eine Kettenreaktion entlang der Balkanroute in Gang gesetzt. Sloweniens Außenminister Karl Erjavec reagierte sofort. Sein Land müsse die Zahl der Durchreisenden den Vorgaben der Zielländer wie Österreich und Deutschland anpassen, sagte er. Auch Serbien, Kroatien und Mazedonien erklärten, sie wollten nur noch Flüchtlinge einreisen lassen, die in Deutschland oder Österreich Asyl beantragen möchten. Macht Wien seine Südostgrenze ab dem Sommer tatsächlich dicht, würde es also zu einem Domino-Effekt kommen. Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz setzt im Übrigen ganz offen darauf, um Griechenland zur besseren Überwachung seiner Grenze zur Türkei zu zwingen. Allerdings befürchten Experten, dass Athen dabei wie bisher versagt und warnen vor humanitären Dramen in Griechenland.

Ist die Schließung der deutschen Grenze zu Österreich jetzt vom Tisch?

Nein. Wie bisher hängt das Verhalten der östlichen Nachbarstaaten unmittelbar davon ab, was Deutschland tut. Migranten mit erklärtem Ziel Deutschland könnten von den Transitländern weiter in großer Zahl durchgewunken werden. Österreichs Obergrenze könne sogar mehr Flüchtlinge für Deutschland bedeuten, befürchtet Jörg Radek, Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Sollten sich die Österreicher entscheiden, beim Erreichen des Limits Flüchtlinge einfach wieder nach Deutschland weiterzuleiten, würde uns das vor enorme Probleme stellen", warnte Radek.

Könnte die Polizei die Grenze überhaupt völlig abriegeln?

Im Dezember hatte die Bundespolizei Pläne vorgestellt, wie man die Grenze zu Österreich schließen könnte. Dabei würden alle Brücken und Grenzübergänge gesperrt, dazu kämen fliegende Kontrollen im Hinterland, um Flüchtlinge aufzuspüren, die es über die die grüne Grenze geschafft haben. Allerdings würden die personellen Reserven der Polizei eine solche Vollkontrolle wohl nur eine Woche lang erlauben. "Wenn man seriös eine Grenze schließen will und massiv Menschen vom Grenzübertritt abhalten will, dann muss man Grenzzäune bauen und braucht mehr Personal", sagt auch der Historiker und Schengen-Experte Andreas Pudlat. "Früher waren Grenzkontrollen von einer guten Infrastruktur begleitet", erklärt Pudlat weiter. Dies sei heute einfach nicht mehr der Fall.

Wären Grenzkontrollen das Ende des Schengen-Systems und damit der Freizügigkeit in der EU?

Alles hängt von der Intensität und vor allem von der Dauer der Kontrollen ab. In einer "Ausnahmesituation" lässt der Schengen-Vertrag durchaus zeitlich befristete nationale Kontrollen zu — etwa bei Großveranstaltungen oder Terrorgefahr. Die Flüchtlingskrise aber ist etwas anderes. "Derzeit ist nicht absehbar, dass die Migrationswelle nachlässt", sagt Andreas Pudlat. Deswegen müsse unbedingt eine europäische Lösung her. Sonst sei Schengen wirklich in ernster Gefahr.

Was kosten Grenzkontrollen?

Die direkten Kosten für die Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen wären erheblich. Sie beliefen sich Mitte der 80er Jahre nach Berechnungen des italienischen Ökonomen Paolo Cecchini allein für die europäischen Kernländer Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande und Großbritannien auf umgerechnet bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr. Auch Pudlat warnt: "Man muss bedenken, dass strengere Grenzkontrollen auch erhebliche Kosten nach sich ziehen - etwa für die Infrastruktur, Personal, aber auch die gerichtlichen Verfahren, wenn jemand beim illegalen Grenzübertritt erwischt wird."

Was bedeutet Österreichs Entscheidung für die Bundesregierung?

Die Wiener Entscheidung setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die eine Obergrenze für Flüchtlinge ablehnt, unter noch größeren Druck. CSU-Chef Horst Seehofer erneuerte seine Drohung, die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht zu verklagen, sollte Merkel nicht einlenken. "Alle erkennen an, dass sich die Bundeskanzlerin intensiv für eine europäische Lösung einsetzt. Das wäre auch die beste Lösung. Dafür läuft allerdings die Zeit und das ist allen auch bewusst", sagte Ansgar Heveling (CDU), Chef des Bundestags-Innenausschusses. Zugleich spaltet die Frage der Grenzschließung die Koalition. SPD-Vize Ralf Stegner kritisierte die CSU-Forderung nach Grenzschließungen. Die würden schon deshalb nicht funktionieren, weil Deutschland viele Hundert Kilometer grüne Grenze habe.

Was sagt die deutsche Wirtschaft?

Spitzenvertreter der Wirtschaft stärkten Merkel den Rücken. "Wenn auch Deutschland den österreichischen Weg gehen würde, wäre eine Kettenreaktion mit weiteren Grenzschließungen nicht mehr aufzuhalten", sagte Außenhandelspräsident Anton Börner. Sein Verband befürchtet Milliardenschäden, sollte es zu permanenten Grenzkontrollen in Europa kommen. Allein die internationalen Straßentransporte könnten sich um drei Milliarden Euro im Jahr verteuern. Auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnte: "Die deutschen Grenzen zu unseren Nachbarn zu schließen, wäre das Gegenteil dessen, was im Interesse der deutschen Exportnation liegt, was uns groß gemacht hat."

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