Berliner Republik Der Kampf um die Mitte

Zu den Ritualen der Politik gehört, dass jeder meint, wo er stehe, da sei auch die Mitte. Das führt zu verwirrenden Begriffen.

Berliner Republik: Der Kampf um die Mitte
Foto: Quadbeck

Von Joghurts und Müsli-Riegeln kennt man das: Sie vermitteln mit hübscher Aufmachung den Eindruck, wenn man sie reichlich konsumiere, befördere dies die Gesundheit. Es gibt selbstverständlich gesetzliche Regeln, dass nicht offensichtlich die Unwahrheit auf den Produkten stehen darf. Bei den bunten Packungen existiert allerdings ein Graubereich, den die Werbeindustrie auszuschöpfen versteht.

In Wahlkampfzeiten funktioniert das Marketing der Parteien durchaus ähnlich. So laufen inzwischen etliche Linken-Politiker herum, die eine mögliche rot-rot-grüne Koalition als Mitte-Links-Bündnis bezeichnen. Na schön, es ist immer eine Frage des eigenen Standpunkts, wo gerade rechts und links und die Mitte ist. Ich persönlich bin die vergangenen drei Jahre davon ausgegangen, dass wir von einem Mitte-Links-Bündnis regiert werden. Dies geben übrigens auch Umfragen her, wonach die Kanzlerin links der Mitte verortet wird. Aber es gehört zu den Ritualen der Politik, dass eigentlich jeder Politiker meint, wo er sei, da ist auch die Mitte.

Nicht nur die Roten vermeiden eine Zuschreibung ihrer politischen Richtung nach Farben. Union und FDP konnten es zu ihren Regierungszeiten auch nicht leiden, als Schwarz-Gelb apostrophiert zu werden. Lieber nannten sie sich selbst "christlich liberal". Außer ihnen übernahm aber niemand diese Bezeichnung, weil der permanente Streit in dieser Regierung dem selbst gesetzten Anspruch schlicht nicht gerecht wurde. Dabei ist für den Bürger die Zuschreibung der politischen Bündnisse über Farben eingängig. So wurde beispielsweise der Begriff Jamaika-Bündnis geprägt, was nach den Farben der Flagge Jamaikas eine Koalition aus Union, Grünen und FDP beschreibt.

Auch die Politiker selbst signalisieren gerne Parteizugehörigkeit durch Farben. Bei der SPD tragen die Damen gerne Rot. Die blauen Anzüge von FDP-Parteichef Christian Lindner sind schon mal gelb gefüttert. Die Union wiederum hat sich Orange als Parteifarbe zugelegt, da Schwarz ja eher negativ wahrgenommen wird. Generalsekretär Peter Tauber holt an besonderen Tagen daher die orangefarbene Krawatte aus dem Schrank.

Die Einzigen, die sich rundum mit ihrer Parteifarbe identifizieren, sind allerdings die "Grünen" — wie der Name schon sagt. Keinen Unterschied zu den anderen machen sie bei der Inanspruchnahme der politischen Mitte.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort