Kolumne: Berliner Republik Der Sog der Volksparteien

Wir stehen vor einem Wahlkampf ohne Koalitionsaussagen. Wahrscheinlich wird das den Volksparteien mehr nutzen als den kleinen Parteien.

Kolumne: Berliner Republik: Der Sog der Volksparteien
Foto: Quadbeck

Seit Monaten gibt es in der Gesellschaft den Trend zur Politisierung. Bei den Landtagswahlen ist die Wahlbeteiligung gestiegen. Die Parteien verzeichnen Mitgliederzuwächse, und in den Netzwerken laufen Grundsatzdebatten.

Dass sich neue Parteien etablieren können, auch wenn sie rechtspopulistischer Natur sind, ist ebenso ein Zeichen lebendiger Demokratie wie der Schulz-Effekt, den wir Anfang des Jahres erlebt haben. Das System ist in Bewegung. Die Parteien reagieren auf die neue Flexibilität der Wähler ebenfalls mit einer neuen Strategie. Während es in früheren Wahlkämpfen eigentlich immer klar war, wer mit wem koalieren möchte und wer mit wem zur Not zusammengehen könnte, bleibt 2017 vieles offen. Es gibt keine Koalitionsaussagen und noch nicht einmal echte Bekenntnisse nach dem Motto: Dieser oder jener ist unser natürlicher Koalitionspartner. Im Gegenteil: Ein jeder kämpft für sich.

Dies wiederum hat den Effekt, dass sich der Wähler nicht mehr taktisch entscheiden kann. Wer die FDP wählt, bekommt nicht zwingend Schwarz-Gelb, und wer Grüne oder Linke wählt, bekommt nicht unbedingt Rot-Rot-Grün. Viele Wähler könnten dazu übergehen, sich stattdessen zwischen CDU-Amtsinhaberin Merkel und SPD-Herausforderer Schulz zu entscheiden. Dies würde einen Sog der Volksparteien bei der Bundestagswahl auslösen. Aktuell zahlt die Konstellation mal wieder bei Merkel ein. Die Union steht bei knapp 40 Prozent - ähnlich gut wie vor der Flüchtlingskrise. Doch anders als 2009 und 2013 ist die politische Landschaft weniger fest gefügt.

Die kleinen Parteien stehen vor der Herausforderung, allein inhaltlich deutlich zu machen, wofür sie gebraucht werden. Bislang war eines ihrer wichtigsten Argumente auch immer, dass dieses oder jenes Lager das Land regieren sollte. Die neue Lage wiederum könnte zu einem echten Wettbewerb der Ideen im Wahlkampf führen und ganz nebenbei die weiterhin bräsige Union unter Druck setzen, entgegen ihren bisherigen Ankündigungen ihre Vorstellungen zum Beispiel zur Rente deutlich zu machen.

Den Unionsstrategen ist durchaus klar, dass sie in diesem Jahr - anders als 2009 und 2013 - den Wahlsieg nicht nach Hause schaukeln können, indem sie die Wähler der politischen Gegner einlullen. Eine echte alternative Strategie ist bei der Kanzler-Partei aber bislang auch nicht zu erkennen. Aus der Reserve wird die Union wohl nur kommen, wenn die anderen Parteien sie vor sich hertreiben.

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(qua)
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