Kolumne: Berliner Republik Der wahre Preis des Kostenlosen

Vielleicht kostet es auf den ersten Blick ein paar Cent mehr. Aber es gibt gute Gründe, in Geschäften einkaufen zu gehen und eine Zeitung zu lesen. Es erhält mir meine Autonomie, meine Freiheit.

Dieses Mal geht es an dieser Stelle nicht um Griechenland, Merkel oder ein Drama namens SPD. Dieses Mal geht es um das Papier, das Sie gerade in ihren Händen halten. Ihre Zeitung. Es ist ein wenig in Mode gekommen, über dieses gedruckte, geordnete und überdies sehr praktische Medium die Nase zu rümpfen. Dabei gibt es sehr viele gute Gründe, sich Informationen und Ansichten nach wie vor auf diesem Wege zu Gemüte zu führen. Eines Vorzugs sind Sie sich womöglich gar nicht bewusst: Es schaut Ihnen beim Lesen keiner über die Schulter. Keiner kann sehen, welche Artikel Sie lesen, bei welchen Worten Sie ein- oder aussteigen, welche Themen Sie interessieren und um welche Sie einen Bogen machen. Ihr Leseverhalten bleibt ihr Geheimnis und Privatvergnügen.

Für das Netz gilt: Anders als mit dem Verkauf der gesammelten Daten ist das kostenlose Angebot gar nicht zu finanzieren. Nur deshalb können im Übrigen Google und Youtube und wer auch immer ihre Angebote kostenlos zu Verfügung stellen. Sie als Netzleser bezahlen nämlich doch: mit den Datenspuren und damit Ihrem Profil, das Sie von sich hinterlassen. Vor etwa sechs Wochen habe ich mich im Internet nach neuen Skischuhen umgeguckt. Vom selben Tag an poppen Skischuh-Anzeigen in meinem Computer auf, sobald ich auf x-beliebige Seiten gehe.

Dabei habe ich zwei Wochen nach meinem Surfen im Netz etwas ganz Altmodisches gemacht: Ich bin in einen Sportladen gegangen, habe sowohl eine gute Auswahl als auch eine exzellente Beratung angetroffen und für einen fairen Preis ein Paar Skischuhe im Ausverkauf erworben. Ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, sieht man von den anonymen Geldscheinen ab, die in der Kasse verschwunden sind. Ich war ein selbstbestimmer Kunde, dessen Konsumverhalten keiner registriert hat. So wie ich ein selbstbestimmter Zeitungsleser bin, aus dessen Leseverhalten keiner Kapital schlagen kann. Die Online-Anzeigen mit Skischuhen poppen übrigens immer noch auf, sobald ich den Computer einschalte - rausgeschmissenes Geld der Werbeindustrie.

Was ich sagen will? Es gibt gute Gründe, in Geschäften einkaufen zu gehen und eine Zeitung zu lesen. Vielleicht kostet es auf den ersten Blick ein paar Cent mehr. Aber der wahre Preis des scheinbar Kostenlosen ist viel höher. Das scheinbar Kostenlose bezahle ich mit dem Verlust meiner Autonomie, meiner Freiheit.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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