Kolumne: Berliner Republik Ein Hauch von Helmut Kohl

Im November dieses Jahres wird Angela Merkel seit zehn Jahren Bundeskanzlerin sein. Das ist eine sehr lange Zeit. So eine lange Zeit schafft irgendwann Überdruss. So eine lange Zeit ermüdet, macht bräsig. Eine ganz eigene Sicht auf Deutschlands beliebteste Politikerin.

Neues aus Berlin? Unbedingt! In diesen Wochen sind Angela Merkel zweimal in kurzer Folge die Dinge entglitten. Zwei Patzer von Merkel, und das noch in den beiden wichtigsten Terrains des politischen Tanzbodens. Das ist neu.

In der eigenen Fraktion sind der Kanzlerin 60 Leute bei der Abstimmung zum dritten Hilfspaket für Griechenland nicht gefolgt. Dazurechnen muss man noch die, die durch Abwesenheit ihr Misstrauensvotum abgaben. Das ist mehr als jeder Abgeordnete aus den eigenen Reihen. Das ist mehr als nur ein Schönheitsfehler. Das ist eine politische Schmach.

Merkel muss zuerst und geschlossen ihre eigenen Leute hinter sich bringen. Wie sagte schon seinerzeit Oskar Lafontaine seinen verzagten Genossen: Nur wenn wir von uns selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern. Begeisterung für die Griechenlandpolitik der eigenen Kanzlerin ist in der CDU nicht so richtig festzustellen.

Zweiter Patzer: Viel zu spät hat Angela Merkel sich in ein Flüchtlingsheim bequemt, um mit ihrem Besuch ein politisches Signal gegen jene zu senden, die Unterkünfte niederbrennen, Bewohner anpöbeln und Brandsätze auf Polizisten werfen. Hier ist ihr Bestreben, sich die unangenehmen Themen vom Hals zu halten, grandios gescheitert. Und ihrem Vizekanzler und mutmaßlichen Herausforderer Sigmar Gabriel ist es gelungen, mit seinem flinken Besuch im sächsischen Heidenau seine Konkurrentin bloßzustellen. Erschwerend kommt hinzu: Frau Merkel hat in Heidenau auf den Spuren Gabriels nur die Folge ihrer eigenen Tatenlosigkeit betrachten können. Denn es ist etwas anderes, ob ein Kanzler in Gummistiefeln an die Elbe fährt, um dort eine Naturkatastrophe zu besichtigen oder aber Pogrome gegen Ausländer. Das eine, die Flut, ist höhere Gewalt. Das andere ist teilweise hausgemacht. Denn natürlich hätte Merkel längst mit ihren europäischen Kollegen, mit den Kommunen, mit den Ländern etwas tun müssen, um dem Ansturm gerecht zu werden. Und natürlich hätte sie längst etwas tun können und müssen gegen das, was als Pegida in Dresden begann und nun Steine wirft in Heidenau.

Am 22. November dieses Jahres wird es zehn Jahre her sein, dass Merkel im Bundestag zur Kanzlerin gewählt wurde. Das ist eine sehr lange Zeit. So eine lange Zeit verschleißt. So eine lange Zeit schafft irgendwann Überdruss. So eine lange Zeit ermüdet, macht bräsig. Zehn Jahre Merkel, und es liegt ein erster Hauch des späten Kohl überm Land.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort