Berliner Republik Die Türkei ist immer bei uns

Berlin · Die politischen Vorgänge in der Türkei bestimmen unseren Alltag so sehr, wie dies bei kaum einem anderen Land der Fall ist.

Erdogan-Anhänger: Die Türkei ist immer bei uns in Deutschland
Foto: Quadbeck

Der Aufruf des türkischen Präsidenten Erdogan, sich dem Putsch entgegenzustellen, erreichte auch seine Anhänger in Deutschland. Obwohl in Berlin, Duisburg und Düsseldorf keine Panzer rollten, zogen Erdogans Unterstützer zu Tausenden auf die Straßen.

Wenn in der Türkei politische Unruhe herrscht, spüren wir dies immer auch in Deutschland. Als die Auseinandersetzungen der Türken und Kurden in der ersten Jahreshälfte eskalierten, sprangen die Konflikte auch in die von Türken und Kurden bewohnten Straßenzüge unserer großen Städte über. Familien, Freunde, Nachbarn, die über Jahre friedlich miteinander gelebt hatten, standen sich plötzlich feindlich gegenüber. Obwohl uns Frankreich, Italien, die Niederlande oder andere EU-Länder kulturell und geografisch viel näher sind, hat die Türkei doch die größere Präsenz in unserem Alltag. Knapp drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in Deutschland. Die türkische Tageszeitung "Hürriyet" ("Freiheit") verkauft hier täglich rund 20.000 Exemplare.

Die Konflikte der politisch tief zerklüfteten türkischen Gesellschaft werden uns auch künftig beschäftigen. Dabei sind die Frontlinien recht unübersichtlich: Türken gegen Kurden, Erdogan-Anhänger gegen Erdogan-Kritiker, Gülen-Befürworter gegen Gülen-Gegner, Befürworter einer Assimilierung in Deutschland gegen türkische Nationalisten. Für die deutsche Mehrheitsgesellschaft ist das hohe Maß an Emotionalität, mit dem viele Türken ihre politischen Meinungsverschiedenheiten austragen, befremdlich.

Dieser kulturelle Unterschied war vor allem infolge der Armenien-Resolution des Bundestags spürbar. Die Reaktionen der Anhängerschaft Erdogans insbesondere gegen die türkischstämmigen Abgeordneten gingen weit über das erträgliche Maß hinaus. Die Politiker erhielten wüste Beschimpfungen, justiziable Beleidigungen sowie Gewalt- und Morddrohungen.

Je weiter die Türkei sich von einem demokratischen Rechtsstaat entfernt, desto schwieriger wird es nicht nur für die Bundesregierung, mit diesem politischen Partner umzugehen. Auch für die Integration der Türken und türkischstämmigen Bürger in unsere Gesellschaft ist die Lage in der Türkei eine Belastung. Die vielen türkischstämmigen Menschen, die als Beispiel gelungener Integration gelten, kommen gegen so viel Hass in der eigenen Community nicht an. Die gemäßigten Kräfte müssen ihre Stimme klarer erheben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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