Kolumne: Berliner Republik Regierungsviertel erwacht aus Dornröschen-Schlaf

Vorbei ist der schöne Sommer, in dem man bei Telefonaten mit Politikern Kuhglocken-Geläut im Hintergrund hören konnte. Das Berliner Regierungsviertel ist wieder auf Betriebstemperatur.

Der meist gesprochene Satz in diesen Tagen im Berliner Regierungsviertel ist die Feststellung: "In diesem Jahr gab es ja gar kein Sommerloch." Und dennoch herrscht das Gefühl, dass das politische Leben gerade wieder aus seinem Dornröschen-Schlaf erwacht. Denn während die politischen Debatten um Waffenlieferungen, die Ukraine-Krise und die Pkw-Maut weiterliefen, hatte der Politik-Betrieb Stillstand. Es gab kaum Abendtermine, das Reichstagsgebäude bevölkerten nur Touristen, und in den Büros der Abgeordneten verrichteten Anrufbeantworter ihre Dienste. Politiker, die man in diesen Wochen doch ans Telefon bekam, entschuldigten sich gleich ob der schlechten Verbindung, derweil im Hintergrund Kuhglocken ertönten oder Meeresrauschen zu vernehmen war. Die Kommentare, die sie dann zur Lage der Nation abgaben, klangen inhaltlich oft, als käme nicht täglich eine Zeitung in ihren Urlaubsort.

Nun ist wieder alles anders in Berlin. Politiker, Lobbyisten und Journalisten sind zurück aus dem Urlaub. Der Bundestag hat mit seiner Sondersitzung die Aufwärmrunde schon absolviert. In Hintergrundgesprächen bringt man sich gegenseitig wieder auf den Stand der Dinge. Über den Kurznachrichtendienst Twitter werden belanglose Kommentare und kleine Frotzeleien verbreitet. Und die beliebten Sommerfeste gehen auch weiter.

In dieser Woche schoss das Finanzministerium im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel ab. Es bat seine Gäste zum Bogenschießen, nicht ohne den Hinweis, man möge bitte nicht aufeinander, sondern nur auf die Zielscheiben schießen. Und da Politiker und Journalisten wechselseitig übereinander der Meinung sind, der jeweils andere könne ohnehin nicht ins Schwarze treffen, gab es munteres Gefeixe zum Zielwettbewerb. Ein Profi, der die vielen Greenhorns unterwies, erklärte, dass es beim Bogenschießen gar nicht so sehr auf Zielgenauigkeit, sondern vielmehr auf Intuition ankäme. Da ging natürlich ein erleichtertes Seufzen durch die Reihen. Denn beim Regieren ist das gemeinhin auch so. Da spricht man dann von Machtinstinkt.

Wobei die aufkeimenden Zweifel am Machtinstinkt der Kanzlerin auch zu den Top-Themen bei den abendlichen Festen und Kungelrunden gehören. Was hat es zu bedeuten, dass sich die mächtigste Frau der Welt bei ihren Entscheidungen ganz offensichtlich nicht nur auf die Sachlage und ihre Intuition verlässt, sondern gerne das Hörrohr ans Volk legt und sich nach Umfragewerten der Meinungsforscher richtet?

Das bedeutet zumindest, dass die Naturwissenschaftlerin Merkel was von Schwarmintelligenz versteht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
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