Kolumne: Berliner Republik Regierungsviertel im Dornröschenschlaf

Berlin · Landauf, landab tobt der Wahlkampf. Das Regierungsviertel liegt im Auge des Sturms, wo es ja bekanntlich sehr ruhig ist. Diese Auszeit vom Normalbetrieb sollte sich die Republik besser nur alle fünf Jahre leisten.

In den letzten Tagen vor der Bundestagswahl liegt eine merkwürdige Ruhe über dem Regierungsviertel. Wie überall im Land säumen Wahlplakate die Straßen. Die Abgeordneten und Spitzenkandidaten auf den retuschierten Fotos sind freilich nicht zu sehen. Sie sind überall in der Republik unterwegs, um für sich und die Sache ihrer Partei zu werben.

Wahlkampf ist Leerlauf für den politischen Betrieb. Die vielen Restaurants mit Hinterzimmern, in denen sich Politiker und Journalisten sonst zu Informationsgesprächen treffen, sind derzeit nur spärlich gebucht. In den Ministerien und im Bundestag können die Mitarbeiter Überstunden abbummeln. Nur die Parteizentralen gleichen in diesen Wochen Bienenstöcken. Und während in Nicht-Wahljahren das Parlament im September nach der Sommerpause seinen Betrieb wieder hochfährt, herrscht derzeit unter der Glaskuppel des Reichstags eine Art Dornröschenschlaf.

Wir sollten uns das künftig nur noch alle fünf Jahre antun. Vieles spricht für eine Verlängerung der Wahlperiode um ein Jahr: Die Lähmung des Betriebs durch Bundestagswahlen dauert nämlich deutlich länger, als die heiße Wahlkampfphase läuft. Schon Monate vor der Wahl werden politische Kompromisse unmöglich gemacht. Etliche Mitarbeiter, die zwischen den Wahlen professionell und mit Augenmaß ihren Job machen, schalten in den Wahlkampfmodus, um ihre Chefs möglichst gut aussehen zu lassen. Wobei solche Schwenks leicht durchschaubar sind und oft genug eher negative Wirkung haben.

Wenn am Sonntagabend eintritt, was Wahlumfragen derzeit nahelegen, dann gäbe es rein rechnerisch eine Regierungsmehrheit für eine Neuauflage der großen Koalition oder für das sogenannte Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Aus verschiedenen Gründen ist zu vermuten, dass Koalitionsverhandlungen für beide Bündnisse inklusive Basis-Abstimmungen über den Koalitionsvertrag so lange dauern werden, dass wir bis Weihnachten noch keine neue Regierung haben. Die alte Regierung bliebe auch über die konstituierende Sitzung des Bundestags hinaus geschäftsführend im Amt. Dringende Gesetze können verabschiedet werden, politische Gestaltung allerdings ist in einer solchen Phase nicht möglich.

Keine Frage: Die Demokratie braucht diese Phase des Wahlkampfs, in der Spitzenpersonal und Konzepte auf den Prüfstand kommen. In einem föderalen Staat mit weiteren 16 Landtagswahlen wäre aber eine fünfjährige Legislaturperiode eine Wohltat.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(qua)
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