Kolumne: Berliner Republik Und plötzlich ist Wahlkampf

Stellen Sie sich vor, es ist Wahlkampf, und keiner ist vorbereitet. Genau das erleben die Parteien im Bundestag gerade.

Mit dem Wahlkampf verhält es sich wie mit Ostern: Das Ereignis kündigt sich unglaublich früh an - kurz nach Weihnachten mit den ersten Schokohasen im Supermarktregal. Wenn es dann so weit ist, gibt es doch noch ein paar versteckte Überraschungen.

Union und SPD jedenfalls improvisieren sich gerade durch einen Bundestagswahlkampf, der nach Planung der Parteizentralen noch gar nicht hätte losgehen sollen. Denn unter Wahlkampfexperten hat sich längst herumgesprochen, dass man sein Pulver so lange wie möglich trockenhalten sollte. Immer mehr Menschen entscheiden immer knapper vor dem Wahltermin, wo sie ihr Kreuz setzen. Dementsprechend überfordern beide Regierungsparteien die unerwartete Nominierung von Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat und der folgende Höhenflug der Sozialdemokraten in den Umfragewerten.

Die Union hat noch nicht einmal eine Strategie, wie sie mit Schulz umgehen soll. Ein Teil der Parteiführung setzt auf Offensive, derweil die CDU-Chefin und Kanzlerin nach bewährter Strategie den Gegner an sich abtropfen lassen will. Bei Schulz wird das aber nicht funktionieren. Ihm gelingt es, die Bürger jenseits der üblichen rhetorischen Schleifen zu erreichen. Selbstverständlich braucht die Union also eine Offensivstrategie. Der politische Aschermittwoch wäre ein gutes Datum, sie zu starten.

Die Sozialdemokraten wiederum machen strategisch derzeit viel richtig. Ihnen gelingt es, alten Themen neuen Glanz zu verleihen. Doch risikofrei ist ihr Vorgehen auch nicht: Schulz macht zwar die große Welle, im Detail kennt er sich aber noch nicht aus. Peinlich war, dass er die Quote der Befristungen bei neuen Jobs etwa doppelt so hoch ansetzte, wie sie in Wahrheit ist, um seine Forderungen zu begründen. In einer TV-Talkshow nach dem Mindestlohn gefragt, fiel ihm nicht ein, dass dieser von einer Tarifkommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften in Deutschland festgelegt wird und nicht von der SPD.

Nun könnte man meinen, die Opposition würde den Kickstart in den Wahlkampf ausnutzen. Die aber zeigt sich erst recht schlecht sortierte. Die Grünen scheinen den Klartext verlernt zu haben. Das kommt davon, wenn man sich einfach nicht zwischen Rot-Grün und Schwarz-Grün entscheiden kann. Die Linken wiederum fremdeln so offensichtlich mit ihrer Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht, dass von Schlagkraft keine Rede sein kann.

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(RP)
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