Kolumne: Berliner Republik Was aus den Vordenkern von gestern geworden ist

Vordenker sind aus der Mode gekommen. Dabei braucht sie jede Partei. In der Flüchtlingskrise wäre ein bisschen mehr vorausschauendes Denken sehr hilfreich.

Der Begriff des Vordenkers fällt in öffentlichen Debatten nur noch selten. Früher war er verbunden mit Namen wie Erhard Eppler, Hans-Jochen Vogel und Egon Bahr bei der SPD oder Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler bei der CDU. Gelegentlich wird heute noch FPD-Chef Christian Lindner als Vordenker tituliert. Aber die Liberalen sitzen ja nun nicht mehr im Bundestag.

Kurzum: Im politischen Berlin fehlt es an jenen Persönlichkeiten, die kreativ und vorausschauend denken und auch keine Scheu haben, sich mit dem eigenen Laden anzulegen, wenn sie die Zeichen der Zeit erkannt oder auch nur meinen, die Zeichen der Zeit erkannt zu haben.

Die sogenannten Think Tanks, die sich in der Hauptstadt angesiedelt haben, sind viel zu träge und unprofiliert, als dass sie die Debatte um zukunftsträchtige Lösungen aktueller Probleme wirklich befeuern können. Ohne Kulturpessimist zu sein, kann man an dieser Stelle ein wenig altmodisch klagen, dass im digitalen Zeitalter vor allem im Hier und Jetzt herumgehechelt wird, während zum Nach- und Vordenken nicht mehr genug Zeit bleibt. Zumal sich bei sozialen Netzwerken wie Twitter auch mehr Vorturner als Vordenker tummeln.

Dabei wäre das vorausschauende Denken in der Flüchtlingskrise wirklich angezeigt. Wir benötigen eine Vorstellung davon, wie sich unsere Gesellschaft durch den Zustrom so vieler Menschen aus anderen Kulturen verändern wird. Nur wenn wir uns ein Bild davon machen, wohin sich die Linien von heute in der Zukunft bewegen, können wir Einfluss nehmen auf die Gesellschaft von morgen.

Die große Koalition hingegen zuckt bei jedem neuen Vorschlag zur Flüchtlingskrise vor Schreck zusammen und verfällt in einen wochenlangen Streit, statt die Dinge pragmatisch und mit einem in die Zukunft gerichteten Blick zu diskutieren. Inzwischen gibt es in der großen Koalition sogar eine Debatte, ob überhaupt noch neue Vorschläge vorgelegt werden sollen. Ja bitte, was denn sonst? Nur weil man damit beschäftigt ist, die gerade notwendigen Dinge umzusetzen, kann man doch nicht das Weiterdenken unterlassen.

Wir benötigen zur langfristigen Bewältigung der Flüchtlingskrise beispielsweise eine Leitkulturdebatte, die den Namen verdient und in der es nicht immer nur um ideologische Wortklauberei und ums Rechthaben geht. Eine Gesellschaft, die sich ihrer selbst bewusst ist, muss keine Angst haben, von fremder Kultur vereinnahmt zu werden.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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