Kolumne: Berliner Republik Zwischen Preußentum und Hippie-Staat

Noch vor wenigen Monaten waren die Deutschen bei der Euro-Rettung die Zuchtmeister Europas. Das Image der Regierung in Berlin hat sich in der Flüchtlingskrise aber grundlegend gewandelt.

Das Spektrum für die Bewertung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der internationalen Wahrnehmung hat eine gewisse Spannbreite: Die Vergleiche schwanken zwischen Adolf Hitler und Mutter Teresa. In der Euro-Krise wurde Merkel immer wieder von ihren Kritikern durch Fotomontagen mit Hitler-Bärtchen und in SS-Uniform verunglimpft. Im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, wurde sie wegen ihrer Flüchtlingspolitik in den vergangenen Wochen dagegen als mitfühlende Mutter Merkel verehrt. Schwarz-Rot-Gold erschien plötzlich als Farbe der Hoffnung.

Nun ist die Regierung an der schwankenden Wahrnehmung im Ausland nicht ganz unschuldig. In der Griechen-Krise taten die Deutschen, was Europa im Großen und Ganzen von ihnen erwartet: Prinzipienfest pochten wir auf die Einhaltung der Regeln. In der Flüchtlingspolitik allerdings erkennt Europa die Deutschen kaum wieder. Plötzlich wurden die so oft als kaltherzig Geschmähten mit Adjektiven wie "menschlich", "moralisch" und "mitfühlend" belegt. Weltweit verbreiteten sich die Bilder der Münchner Bürger, die Flüchtlinge mit Applaus und Kuscheltieren empfingen.

Dem britischen Politologen Anthony Glees geht das alles zu weit. Die Deutschen wirkten, als hätten sie den Verstand verloren, ätzte er. Die Bundesrepublik gebe sich im Moment als "Hippie-Staat", der nur von Gefühlen geleitet werde. Wenn Bund, Länder und Kommunen nicht gerade Tag und Nacht mit der Versorgung der Flüchtlinge beschäftigt wären, müsste sich das Land frei nach dem Philosophen Richard David Precht einmal die Frage stellen: Was für eine Nation sind wir, und wenn ja, wie viele wollen wir werden?

Die Regierung schwankt noch in ihrer neuen Rolle, in der sie mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Eigentlich debattieren wir gerne und lange über unser Selbstverständnis. Doch als die Sache mit der neuen Verantwortung aufkam, waren wir auch schon mittendrin: Ausbreitung des "Islamischen Staats", Ukraine-Krise, Terror in Paris, Euro-Rettung und nun die große Flüchtlingskrise. Es gab also gar keine Zeit, sich darüber klarzuwerden, welches Bild Deutschland von sich eigentlich nach außen tragen will: Taube oder Falke? Friedensstifter oder Zuchtmeister? Hippie oder Preuße? Geliebt oder geachtet?

Die Verantwortungsbereitschaft der Deutschen in der Flüchtlingskrise bezog sich bislang insbesondere auf das Humanitäre. Mit diesem einseitigen Ansatz wird man sie aber nicht lösen können. Deutschland wird sich auch stärker im Kampf gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung beteiligen müssen.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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