Kolumne: Frauensache Wenn ein Aufschrei angebracht ist

Ein Nein des Opfers reicht vor dem Gesetz offensichtlich nicht, um einen Täter als Vergewaltiger zu verurteilen. Die Bundesregierung hat jetzt die Chance, das zu ändern.

Ein 31-jähriger Mann, alkohol- und drogenabhängig, als gewalttätig bekannt, zwingt nach einer durchzechten Partynacht in seiner Wohnung eine 15-Jährige zum Sex. "Nein, ich will das nicht", fleht das Mädchen und lässt das Zudringen und Eindringen doch über sich ergehen - aus Angst, es könnte sonst noch schlimmer werden. Der Mann wird später vor Gericht freigesprochen.

Eine junge Frau liegt in ihrem Wohnzimmer auf der Couch, ihr Mann kommt dazu, will mit ihr schlafen. Sie sagt Nein, ihr Mann nimmt sich trotzdem, was er will. Die Frau windet sich, weint. Zu schreien wagt sie nicht - aus Furcht, die Kinder könnten wach werden und er ihnen etwas antun. Auch dieser Mann wird freigesprochen.

Ein Nein des Opfers reicht vor dem Gesetz offensichtlich nicht aus, um einen Täter als Vergewaltiger zu verurteilen. Die Macho-Legende der Zurückgewiesenen, eine Frau, die Nein sagt, meine eigentlich Ja, bekommt da einen bitteren Beigeschmack. Das Strafgesetzbuch jedenfalls definiert in Paragraf 177 die Kriterien für den Tatbestand der Vergewaltigung folgendermaßen: "Der Täter muss Gewalt anwenden, dem Opfer massiv drohen, so dass Gefahr für Leib und Leben besteht, oder eine schutzlose Lage, aus der das Opfer sich nicht selbst befreien kann, ausnutzen." Zugespitzt gesagt: Wendet ein Täter "zu wenig" Gewalt an oder muss erst gar keine anwenden, weil sich das Opfer nicht "ausreichend" wehrt, hat - juristisch betrachtet - auch keine Vergewaltigung stattgefunden.

Schock und Angst, die heftige Gegenwehr oft unmöglich machen, berücksichtigt die derzeitige Gesetzeslage nicht. Nach der körperlichen und seelischen Demütigung der Opfer folgt also noch die juristische. Von den wenigen Frauen, die eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, erhalten mehr als 90 Prozent einen Bescheid der Staatsanwaltschaft, dass es nicht zur Anklage kommt. Andere Frauen wiederum erleben am Ende eines Prozesses den Freispruch des Täters.

Die Bundesregierung hat jetzt die Chance, das zu ändern: dank der Istanbul-Konvention des Europarates. Die Übereinkunft zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, die auch von Deutschland ratifiziert worden ist, will nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter Strafe stellen. Das Bundesjustizministerium plant zwar eine Reform des Sexualstrafrechts, doch bisher soll ausgerechnet der Vergewaltigungs-Paragraf unangetastet bleiben.

Vor anderthalb Jahren ging ein aufsehenerregender Aufschrei gegen Sexismus durch Deutschland - jetzt wäre er tatsächlich angebracht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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