Kolumne Frauensache Wie Alice Schwarzer Prostitution skandalisiert

Berlin · 90 prominente Frauen fordern, angeregt von Alice Schwarzer, die Ab- schaffung der Prostitution. Zweifel am Sinn dieser Kampagne erscheinen angebracht.

Ich war 14, und für 90 Minuten war ich eine Prostituierte. In der Aula meiner katholischen Schule erzählte ich von meinem Stelldichein mit dem Postboten. Die Ordensschwestern applaudierten, meine Eltern erfreuten sich an ihrer Tochter, der Hetäre. Hetären, das waren die Prostituierten der Antike, und ich spielte in Friedrich Dürrenmatts "Herkules und der Stall des Augias" eine von ihnen: Deianeira, die Geliebte des griechischen Helden.

Heute wundere ich mich, mit welcher Selbstverständlichkeit eine 14-Jährige in einem konservativen Umfeld die Hure geben konnte. Vielleicht, weil es im Namen der Kunst geschah. Vielleicht, weil wir damals weniger politisch korrekt waren. Politisch korrekt kommt nun die Debatte um die Abschaffung der Prostitution daher. Auf Initiative von Alice Schwarzer hat die Zeitschrift "Emma" einen "Appell gegen Prostitution" mit 90 prominenten Unterzeichnern veröffentlicht. Unser Land sei "zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen" geworden, heißt es.

Der Appell stellt Menschenhandel und Prostitution gleich. Eine Entscheidung für Prostitution als Erwerbstätigkeit könne niemals freiwillig sein, erklärt Schwarzer. Organisationen wie der "Berufsverband der sexuellen Dienstleister" widersprechen ihr allerdings. Für eine Gesellschaft ist es schwer zu ertragen, dass Sex als Dienstleistung verstanden wird und Frauen ihren Körper verkaufen.

Erst die Fakten, dann die Moral

Trotzdem: Erst kommen die Fakten, dann die Moral. Fakt ist, dass das Prostitutionsgesetz von 2002 zu den liberalsten seiner Art zählt. Vorschub für den Menschenhandel aber leistet es nicht. So verweist die Bundeszentrale für politische Bildung darauf, dass die Opferzahlen laut Bundeskriminalamt seit 2001 gesunken sind — von damals 987 Menschen auf 482 im Jahr 2011.

Fakt ist, dass durch das Prostitutionsgesetz dieses Gewerbe nicht mehr als sittenwidrig gilt. Immer noch aber gilt die Prostitution in der Rechtsprechung als störender Gewerbebetrieb; in Wohngebieten etwa ist ihre Ausübung unzulässig. Fakt ist, dass das Prostitutionsgesetz ein Bundesgesetz ist. Seine Umsetzung aber ist Ländersache. Ein einheitlicher politischer Wille und damit eine einheitliche Strategie, wie mit Sexarbeit umgegangen werden soll, existiert daher bis heute nicht.

Fakt ist, dass am 7. November ein Buch von Alice Schwarzer mit dem Titel "Prostitution — ein deutscher Skandal" erscheint. Möglich also, dass es bei der Promikampagne in der Emma nicht nur um Moral, sondern auch um Marketing ging.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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