Kolumne: Gesellschaftskunde Das Märchen der musizierenden Musterfamilie

Düsseldorf · Die Begeisterung für die Kelly Family hatte schon immer mit dem Traum vom alternativen Familienglück zu tun. Dieses Märchen hat nichts an Attraktivität eingebüßt.

Kolumne: Gesellschaftskunde: Das Märchen der musizierenden Musterfamilie
Foto: Krings

Nun sind sie also wieder da mit ihren Gitarren und wallenden Kleidern, ihren geröteten Wangen und gemütvollen Liedern: die Kellys. Die Zeit hat die Musikfamilie verändert, die Eltern sind gestorben, die Kinder von einst haben jetzt erwachsene Gesichter und treten bereits mit den eigenen Kindern auf, ein paar Geschwister gehen eigene Wege. Doch die Deutschen bleiben ihrer Sanges-Sippe treu, ließen deren neues Album gerade wieder auf Platz eins der Charts hochschnellen, alles wie früher.

Man kann das durch Sentimentalität erklären. Wie immer, wenn Bands nach vielen Jahren zurückkehren, bewegt das die Fans von damals. Sie fühlen sich wieder jung mit der Musik ihrer Jugend, lächeln ein wenig über die eigene Begeisterungsfähigkeit vergangener Jahre und genießen doch das vertraute Gefühl. Musik hat ja die Fähigkeit, Zeit ungeschehen zu machen, Menschen bruchlos in ein längst abgelaufenes Lebensgefühl zurückzuversetzen und den Anschein von Kontinuität zu erwecken.

Doch bei den Kellys geht es womöglich um mehr. Die Straßenmusiker mit Etagenbus und Hausboot waren der Traum der alternativen Familie. Verkörperten Zusammenhalt, Füreinandereinstehen jenseits gewohnter Strukturen. Das familiäre Band allein genügte. Das war hippiesk und zugleich unglaublich bieder, Woodstock ohne Exzess, so brav und anachronistisch wie ein Mittelaltermarkt. Natürlich war das eine Projektion und das wahre Leben der Kellys komplizierter. Ruhm und Geld haben auch diesem Kollektiv schwer zugesetzt.

Dass sie nun zurückkehren, mehr Hipster als Hippies, erscheint wie der späte Beleg, dass ein Leben jenseits der üblichen Strukturen möglich ist. Es passt in eine Zeit, in der Filme wie "Captain Fantastic" davon erzählen, dass ein Mann mit seiner Kinderschar allein in der Wildnis überleben kann. Aus Überzeugung. Weil der Kapitalismus Kinder mit Konsumwünschen verseucht.

Es scheint, als wachse das Bedürfnis nach utopischen Schwärmereien, je weiter das Leben technologisch durchdrungen wird. Dass die Kellys auch vorgelebt haben, wie anfällig autarke Kleingruppen sind, macht sie nur noch nahbarer. Wer hätte schon unter Vater Dan Kelly Klampfenkind sein wollen? Aber sich in eine munter musizierende Patchwork-Familie zu träumen, scheint in einer durchindividualisierten Konkurrenzgesellschaft reizvoller denn je. Die Kelly Family hat ein Märchen gelebt. Es war einmal. Jetzt ist es wieder. Die Zeit scheint reif.

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(dok)
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