Kolumne: Gesellschaftskunde Der Reisende bleibt immer ein Fremder

Immer mehr Menschen reisen lieber auf großen Schiffen. Die Reling vermittelt ihnen Sicherheit, doch hält sie auch auf Distanz. Häme aber ist nicht angebracht, die wahre Kunst des Reisens beherrschen nur wenige.

Vielleicht hat es mit einem heimlichen Unbehagen gegenüber dem Fremden zu tun, dass Kreuzfahrten derzeit einen derartigen Boom erleben. Jedenfalls hat sich innerhalb von acht Jahren die Zahl der Kreuzfahrttouristen in Europa verdoppelt. Während Flüchtlinge weltweit in überfüllten Booten versuchen, in die EU zu gelangen, wächst dort die Angst vor "den Fremden", und die Leute wagen sich lieber nur noch auf bulligen Riesenschiffen hinaus in die Welt. Das mag mit der Bequemlichkeit dieser Art des Reisens zu tun haben. Man kommt weit herum, sieht exotische Orte, kann sich aber des westlichen Niveaus bei der Unterbringung sicher sein. Saubere Betten, reiches Buffet, gepflegter Pool - der heimische Standard schwimmt einfach mit.

Der Aufbruch in die Fremde allerdings wird so zur Stippvisite. Der Reisende lässt sich nicht wirklich ein auf ein neues Land, er verharrt im Bekannten, betrachtet die Welt von der sicheren Reling aus, wagt nur ab und an den Landgang.

Dieses Schein-Abenteuer beschreibt der Schriftsteller T. C. Boyle in seinem neuen Buch "Hart auf Hart" mit bitterem Sarkasmus, indem er einen Landgang vom Luxusliner doch ins Abenteuer kippen lässt. Allerdings in ein blutiges. Bei Boyle wagen sich amerikanische Rentner vom Schiff in den Dschungel von Costa Rica, werden überfallen, doch einer der harmlosen Touristen ist Vietnam-Veteran - und wehrt sich. Aus dem Traumurlaub wird ein Trauma.

Allerdings erscheint es doch wohlfeil, Kreuzfahrttouristen als Abenteurer zweiter Klasse mit latenter Wagenburgmentalität vorzuführen. Wer beherrscht schon die Kunst des guten Reisens? Sich einen Rucksack umzuschnallen und auf eigene Faust in unbekannte Gegenden aufzubrechen, ist auch keine Garantie für Weltoffenheit. Auch in Backpacker-Hostels bleiben Touristen gern unter ihresgleichen und pflegen die Vorurteile, mit denen sie angereist sind. Sie halten sich nur für cooler.

Sich einer fremden Kultur wirklich auszusetzen, in ihr aufzugehen, ohne sich anzubiedern, in ihr mitzuleben und sie doch zu reflektieren, ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Auch davon erzählt ein neues Buch, wenn auch eingekleidet in eine brüchige Liebesgeschichte: Ulla Lenzes "Die endlose Stadt". Eine Figur darin geht in Istanbul fast vor die Hunde. Sie lässt sich ein und scheitert doch, weil auch sie sich selbst nicht loswird. Der Reisende bleibt immer ein Fremder. Das muss man sich wohl eingestehen, wenn man in die Welt aufbricht, es ist der beste Schutz vor Borniertheit.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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