Kolumne: Gesellschaftskunde Euphorie trägt immer nur kurze Zeit

Düsseldorf · Der Enthusiasmus, mit dem sich viele Menschen derzeit etwa für Flüchtlinge engagieren, ist ein Zeichen des gesellschaftlichen Aufbruchs. Doch genauso wichtig ist der nüchterne Blick auf die realen Verhältnisse.

Euphorie ist ein schönes Gefühl. Wenn das Leben Anlass für Überschwang bietet, für Glücksempfindungen, die alles für eine gewisse Zeit licht und leicht wirken lassen, dann gibt das dem Menschen Schub. Es kann ihn tragen, Mut für neue Wege machen und auf den alten beflügeln. Das griechische Wort Euphorie bedeutet ursprünglich auch "Fruchtbarkeit" oder "Produktivität". Auch Glück kann Berge versetzen.

Darum ist es gut, dass viele Menschen derzeit die Ankunft von Flüchtlingen in Deutschland als Chance begreifen und sich mit viel Kraft, Fantasie und Euphorie daran machen, die Ankömmlinge kennenzulernen und ihnen ein gutes Ankommen zu ermöglichen. Natürlich kommt in diesen Tagen auch viel Ablehnung und Hass zum Vorschein, die in der Gesellschaft nur geschlummert haben. Die Zahl von Anschlägen auf Flüchtlingsheime ist in diesem Jahr massiv gestiegen. Auch das ist eine Wahrheit dieser Tage. Doch es gibt eben auch eine neue Offenheit, Fröhlichkeit und, ja, Begeisterung, mit der sich Freiwillige in vielen Orten an die Arbeit machen, Initiativen gründen, sich engagieren im Wissen darum, dass langfristige Hilfe nötig ist.

Das ist neu in Deutschland, diese optimistische Art, Problemen zu begegnen, sie nicht so lange zu wälzen, bis sie unbewältigbar erscheinen, sondern einfach mal loszulegen, neugierig darauf, welche Erfahrungen sich ergeben.

Natürlich werden auch negative darunter sein. Und wer sich schon jetzt sozial engagiert, egal in welchem Bereich, wird das kennen: Ärger über schlechte Organisation, Selbstdarsteller unter den Helferkollegen, Missverständnisse, Undank. Das kann schnell zu Enttäuschungen führen. Und wenn ein Engagement allein der kurzfristigen Begeisterung für eine Sache entspringt, kann Euphorie umschlagen. Dann wird aus dem Höhenflug schnell Bruchlandung, Kränkung, Wut. Ernüchterte Idealisten sind meist die größten Zyniker.

Bei allem Enthusiasmus ist es darum wichtig, einen nüchternen Blick auf die Verhältnisse zu bewahren, keine überzogenen Erwartungen zu pflegen, auf Schwierigkeiten gefasst zu sein. Am Ende ist das Motiv entscheidend: Wer hilft, weil er Dank erwartet, wird bald mit Enttäuschungen zu kämpfen haben. Wer sich dagegen einsetzt, weil er sich einsetzen will, weil er eine Aufgabe sinnvoll findet, wird sich von negativen Erlebnissen nicht abschrecken lassen, sondern nach den Ursachen fragen. Dann kann man wachsen an seinen Aufgaben - und immer wieder Momente der Euphorie erleben.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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